Eine gute und eine schlechte Nachricht

THEATER Das hirnvernebelnde Potenzial der Religionen: Der argentinische Regisseur Rodrigo Garcia, zu Gast bei den Lessing-Tagen im Thalia-Theater Hamburg, und die Proteste der katholischen Piusbrüder

In Hamburg begannen gestern Abend die Lessing-Tage des Thalia-Theaters, die sich mit nationalen und internationalen Gastspielen einer Frage widmen, die schon Gotthold Ephraim Lessing stellte: Wie könnte Verständigung von Kulturen und Religionen im Großen und Kleinen möglich sein? Lessing hatte von 1767 bis 1769 in Hamburg als Dramaturg gearbeitet und dort seine epochale „Hamburgische Dramaturgie“ verfasst. Die Festivalfrage leitet sich von der „Ringparabel“ aus Lessings berühmtem Drama „Nathan, der Weise“ ab. Darin erteilt der Aufklärer Lessing dem alleinseligmachenden Fundamentalismus aller drei monotheistischen Religionen eine Absage.

In diesem Kontext ist die Einladung des Abends „Gólgota Picnic“ des spanisch-argentinischen Theatermachers Rodrigo Garcia mehr als zwingend. Kann man die Inszenierung doch als radikal zeitgenössische Version der Ringparabel lesen. Auch wenn Garcia ihr sämtliche Sanftmut und allen Versöhnungsoptimismus ausgetrieben hat. Denn er fragt, ob eben Religion statt zum Guten nicht grundsätzlich ins Zentrum des Bösen führt.

Im Vorfeld des Gastspiels hat nun die erzkonservative katholische Piusbruderschaft massiv gegen die Inszenierung protestiert und zu Demonstrationen aufgerufen. Das muss nicht grundsätzlich Sorge bereiten, unterhält diese Vereinigung, die auch schon mal den Holocaust leugnet, doch ein sehr eigenes Verhältnis zu Wirklichkeit und betrachtet selbst den Vatikan gelegentlich als Stätte religiöser Verirrung. Allerdings sind die Gastspiele des Garcia-Abends, der 2011 beim Steirischen Herbst in Graz zu sehen war, inzwischen mit beängstigender Regelmäßigkeit von Protesten erzkonservativer bis rechtsradikaler Gruppierungen begleitet. In Paris hatte es im Dezember letzten Jahres bei einem Gastspiel massive Proteste radikaler Katholiken gegeben, weshalb die Vorstellungen unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen stattfinden mussten. Wie es scheint, nimmt das Fatwa-Denken auch in katholischen Kreisen zu.

Der 1964 in Buenos Aires geborene und seit vielen Jahren in Spanien arbeitende Rodrigo Garcia, wo er mit der von ihm gegründeten Gruppe La Carnicería Teatro („Metzger-Theater“) ein radikales, körperbetontes Theater mit stark kapitalismuskritischem Akzent entwickelt hat, legt immer wieder sehr zielsicher seine Finger in Wunden der Gegenwart. Zuerst war in Deutschland die Schaubühne in Berlin auf ihn aufmerksam geworden, seitdem ist er regelmäßig beim Festival Internationaler Neuer Dramatik vertreten.

Garcias Theater ist politisches Theater 2.0 und vertraut den alten Feindbildern und Konzepten nicht mehr, da aus seiner Sicht auch die Darstellungsformen selbst von den Entfremdungszusammenhängen des Kapitalismus angefressen worden sind. Die haben aus der Welt selbst ein undurchdringbaren Konglomerat aus Inszenierungen gemacht. In „Gólgota Picnic“ ist es das hirnvernebelnde gewalttätige Potenzial der Religionen, das dieses subversive wie sinnliche Theater untersucht. In Garcias letztem Abend „Versus“, der im Oktober 2011 in Dresden das Festival „Politik im Freien Theater“ eröffnete, ging es um nichts Geringeres als den Versuch, die vom kapitalistischen Objektdenken zerstörten Konstruktionen Liebe, Genuss und Freiheit zu rekonstruieren.

Die Proteste gegen Garcia zeigen, dass seine Kunst denen wirklich wehtut, gegen die sie gerichtet ist. Das ist zwar eine gute Nachricht für die Kunst. Eine schlechte jedoch, was den Zustand unserer Gegenwart betrifft. ESTHER SLEVOGT