Theater Konstanz: Jetzt wieder anders als eben noch

Mit "Afrika – in weiter Ferne so nah" ist die Spielzeit am Theater Konstanz überschrieben. Ein Spielplan, geprägt auch von Kritik am deutschen Afrikabild.

Szene aus „Benefiz“. Bild: theater konstanz

Im Süden liegt Afrika. Zwischen hier und dort kommt der Bodensee und da ist am Theater der kleinen Stadt Konstanz die Spielzeit mit dem Thema „Afrika – in weiter Ferne so nah“ überschrieben.

Ende Februar und Anfang März gab es zwei Premieren, die symptomatisch sind für die unterschiedlichen Erkundungsstrategien des Programms: „Ein Schritt voraus“ von dem kongolesischen Autor Kokouvi Dzifa Galley über das Stranden zweier Afrikaner auf dem Weg nach Europa und „Benefiz – Jeder rettet einen Afrikaner“ von Ingrid Lausund, eine Komödie über Helfersyndrome und Afrika-Klischees.

„Ein Schritt voraus“ läuft im kleinen Werkstatt-Theater, Ramsès Alfa aus Togo, der am Theater Konstanz schon als Regisseur gearbeitet hat – er inszenierte Kafkas „Bericht für eine Akademie“ –, und Para Kiala, ein kongolesischer Schauspieler aus Berlin, spielen Nestor und Jonas. Schon in ihrem Deutsch, weich moduliert von einer afrikanisch-französischen Satzmelodie, ist das Leben in zwei Kontinenten präsent.

Nestor ist der Dandy, ein eigentlicher reicher Mann – warum auch er seine Heimat verlassen will, bleibt lange rätselhaft. Jonas träumt den Traum vom besseren Leben in Europa, aber er kämpft auch mit den Geistern von Toten, die ihm sagen wollen, dass dieses Europa nur eine Fantasie ist. Die Bühne ist karg, wenige Quader aus Styropor markieren Wüste, stürmisches Meer und Grenzmauern.

Zwei Flüchtlinge aus Afrika, man hat so seine Vorstellungen, jetzt kommt eine tragische Geschichte über Europas Grenzpolitik und die Ohnmacht des Einzelnen. Aber was Kokouvi Dzifa Galley erzählt, ist anders, mehr eine Parabel über eine Selbstfindung in der Wüste, wo beide Männer ihr Ziel aus den Augen verloren zu haben scheinen, ihre Vergangenheit und ihre Zukunft und ihre Abhängigkeit voneinander immer wieder von vorn und anders zu deuten beginnen.

Glaubt man anfangs, dass es die politischen und sozialen Verhältnisse und ihre Chancenlosigkeit sind, die beide zum waghalsigen Aufbruch bewegen, so verändert sich dieses Bild: Es sind ihre Selbstbilder, die sie fliehen, ein Auseinanderklaffen des Realen und des Imaginären, ein Riss zwischen Anspruch und Möglichkeiten. Dominic Friedel, ein junger Regisseur, hat das etwas zaghaft inszeniert, wohl auch mit großem Respekt vor seinen Darstellern, beide erfahren in Verlusten und Gewinnen auf dem Weg von Afrika nach Europa und in den Erzähltraditionen des afrikanischen Theaters. Das Stück wird übrigens nur bis Ende März gespielt, weil dann das Visum von Ramses Alfa ausläuft.

Traum vom besseren Leben

Kokouvi Dzifa Galley hat in Togo und in Frankreich an Schreibwerkstätten teilgenommen und betreut in Lomé Kultur und Theater an Schulen. „Ein Schritt voraus“ ist seine erste Aufführung in Deutschland. Er und Ramses Alfa erzählen von der Theaterszene dort, ohne feste Häuser: Schauspieler und Autoren treffen sich einmal wöchentlich, lesen neue Stücke, viel wird auf der Straße gespielt und in Schulen. Beiden erscheint ziemlich verrückt, was in Deutschland allein für Bühnenbilder ausgegeben wird, lebt ihr Theater doch allein von der Erzählung und der Präsenz des Darstellers.

Christoph Nix, der Intendant des Theaters Konstanz, hat beide in Togo kennengelernt, wohin er zunächst als Begleiter einer Kulturdelegation des Auswärtigen Amts kam, später Theaterprojekte zusammen mit der GTZ (Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit) machte. Ramses Alfa ist seit 2009 in Konstanz an mehreren Inszenierungen beteiligt, als Schauspieler und Regisseur; Christoph Nix spielte im Gegenzug als einziger Weißer den Pozzo in Becketts „Warten auf Godot“ mit, in der Compagnie von Ramses Alfa in Lomé. Und wie man dort über ihn lachte, war sehr zu seinem eigenen Vergnügen.

Wenn Nix von Uganda, Togo oder Malawi erzählt, dann steht die Begeisterung über die Künstler dort im Vordergrund. Sicher berührt ihn auch die Vorstellung, dass die Kunst dort deutlicher mit dem Grund des Lebens in Beziehung stehe, weniger überdeckt von institutioneller Geschichte und Bürokratie. Dass man, nachdem die Verbindung mit Künstlern aus Togo und Malawi jetzt schon drei Jahre dauert, dies mit einem Spielzeit-Schwerpunkt bündelt, ist seine Setzung. Dem das Publikum von Konstanz bisher aber mit Interesse folgt.

Es gab einen „Othello“, der ganz auf den schwarzen Hauptdarsteller in der Figur des Fremden unter den venezianischen Kaufleuten zugeschnitten war, von Stanley Mambo, den die Konstanzer in Malawi kennenlernten, in Englisch und in einer Stammessprache gespielt. Mit „Herz der Finsternis“ nach Joseph Conrad und „Die rote Antilope“ nach einem Roman von Mankell wandte man sich dem 19. Jahrhundert zu, der Zeit des Kolonialismus und der Mythenbildung. Drei weitere Stücke über die afrikanische Gegenwart kommen noch.

Afrika rutscht ins Imaginäre

Das Drama „Ruiniert“ von der amerikanischen Autorin Lynn Nottage, das im Bürgerkrieg im Kongo spielt, wird dabei bewusst mit weißen Darstellern besetzt, um die Universalität der Geschichte zu betonen. Als in Berlin vor ein paar Wochen angesichts zweier Inszenierungen am Schlosspark-Theater und am Deutschen Theater eine Debatte darüber losging, warum die Rollen von Schwarzen so oft von schwarzgeschminkten weißen Schauspieler gespielt werden und so wenig schwarze Schauspieler auf deutschen Bühnen zu sehen sind, schrieb Christoph Nix einen Text über die „Farbenblindheit des deutschen Theaters“: Er konnte froh darauf verweisen, dass in seinem Haus Afrikaner als ganz normale Schauspieler engagiert sind und Weiße und Schwarze alles spielen. Besetzt aber auch nach Neigung, unterschiedlichen ästhetischen und performativen Konzepten und nicht nach Hautfarbe 1:1.

Dass ein schwarzer Darsteller, wird er denn wie der Nachweis der eigenen politischen Korrektheit und der Authentizität eingesetzt, auch böse instrumentalisiert werden kann, darüber streiten sich im großen Haus des Stadttheaters Konstanz Eva, Christine, Leo, Rainer und Eckhard zu Beginn von „Benefiz – Jeder rettet einen Afrikaner“. Wenn schon die Prominenz abgesagt hat, können wir dann nicht unsere afrodeutsche Freundin Valerie mit in die Geldsammelaktion für eine Schule in Sierra Leone einspannen, denkt sich Eckhard, und wird von Eva und Christine ob dieses klischeehaften Denkens ziemlich zerfetzt.

In der Regie von Alexander Marusch ist die böse Farce von Ingrid Lausund zu einem Stück geworden, mit dem das Theater auch über sich selbst erzählt: über die Zweifel am Sinn von Entwicklungshilfeprojekten, über das schlechte Gewissen als Motiv, über die Inkonsequenz von heute 10 Euro Spende und an allen anderen Tage 10 Euro Cocktail, über uncoole Rhetorik („Barmherzigkeit und Nächstenliebe“) und Helfen als Weg zur eigenen Sinnstiftung.

Denn in „Benefiz“ landen die fünf Spendeneinsammler schnell bei ihren eigenen Problemen, Konkurrenzen, Selbstdarstellungen. Ihr Wissen über Sierra Leone ist abhängig von ein paar Karteikarten, die Motive für das Engagement ganz unterschiedlich: Leo zum Beispiel will mit den anderen einfach Spaß haben und karikiert moralische Argumente wie ein Clown. Christine hängt an ihrem Auftritt als Powerfrau. Oft wird die Inszenierung zum Slapstick, Afrika rutscht völlig ins Imaginäre, man durchschaut das ja alles so gut – und wird dann in diesem Schlausein, in diesem kritischen Besserwissen doch noch von einem Appell erwischt, Mitgefühl auch zu leben.

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