Pasta Liberazione

JAHRESTAG DER BEFREIUNG Heute feiert die italienische Community Berlins den Sieg über den Faschismus bei italienischem Wein, Partisanenfilmen und Musik der „ Maccheronies“ im Charlottenburger Terzo Mondo

Er organisierte Tabakblätter, und sie sangen dafür „Bella Ciao“

VON GUIDO SCHIRMEYER

Italiens Linke atmet auf. Der Anniversario della Liberazione, der Jahrestag der Befreiung von den Faschisten, wird heute entspannter gefeiert: ohne Berlusconi. Auch Berlins Italy-Community trifft sich heute zu Feierlichkeiten, und zwar nicht bei einem Italiener, sondern bei einem Griechen: In der alten Charlottenburger Taverna Terzo Mondo am Savignyplatz. Schon in den siebziger Jahren war das Lokal ein Treffpunkt der Linken. Mittlerweile ist es eine der letzten linken Traditionskneipen.

Die neapolitanische Sängerin Rachelina aus Kreuzberg gibt mit ihrer Combo „Maccheronies“ ein Konzert. Terzo-Mondo-Wirt Kostas Papanastasiou, bekannt auch als Wirt in der Fernsehserie „Lindenstraße“, lässt dazu von seinem alten Freund Luciano „Pasta Liberazione“ kochen. Und statt griechischem Wein fließt italienischer. Auf der Leinwand in der Terzo-Mondo-Galerie wird – neben Fußball – großes Partisanenkino laufen: „Die vier Tage von Neapel“.

Die Partisanenkämpfe schließlich waren die Quintessenz der Liberazione, fasst Stefano Vastano, Deutschland-Korrespondent für L’espresso, zusammen. Kürzlich habe er mit Cem Özdemir über den Text der italienischen Verfassung gesprochen, der, entsprungen aus dem Geist der Partisanen, einer der schönsten politischen Texte überhaupt sei.

Unter den Gästen der Liberazione-Feier: Paolo Sanvito. Der Kunsthistoriker lehrt an der Humboldt-Universität. Auch er ist Neapolitaner. Sein Großvater Pasquale Riccio war Leiter des Finanzamtes von Neapel und später erster Staatssekretär des Schatzministers während der Übergangsregierung. Als Nachfahre ist Sanvito voller Stolz und Bewunderung für die Partisanen, die Ende September 1943 mit dem Volksaufstand in Neapel die deutsche Besatzung beendet hatten.

Auch im Buchhändlerkeller in der Carmerstraße wurde dieser Tage des Partisanen Primo Levi gedacht. Guiseppe de Siati, einer der Vorstände des Buchhändlerkellers, erinnerte an die Resistenza, an all die kämpfenden Patrioten, Kommunisten, Syndikalisten und Anarchisten. Heutzutage kommt der Patriotismus aus der Linken.

Der 75-jährige Kostas Papanastasiou, der das Terzo Mondo vor 38 Jahren von einem Italiener übernommen hatte – in dessen Kneipe habe es „früher von Italienern der Gruppe Lotta Continua gewimmelt“ –, kommt gerade von einer Reise aus seiner Heimat Thessalien zurück. Dort zog er mit seinem Chorprojekt „Klingende Brücke“ durch die Dörfer und sang alte Volks- und Partisanenlieder.

Er erinnert sich an Griechenland 1943 und erzählt: „Als sechsjähriger Dorfbub färbte ich zwei faule Eier schwarz und hängte sie mir wie Handgranaten an meine Hosentaschen. Ich schulterte ein selbst geschnitztes Holzgewehr und schnallte mir zwei Patronengürtel mit leeren Hülsen über die Brust. Dann marschierte ich gegen die deutschen Soldaten, die fünf Kilometer entfernt in der Kreisstadt Karditsa stationiert waren. Ich sah aus wie ein kleiner Zapata. Ich wollte auch ein Partisan sein.“

Inzwischen ist Papanastasiou 69 Jahre älter. Er erinnert sich, wie ihn damals die Passanten in Karditsa in seiner Partisanenmütze angafften. „Schließlich fischten mich meine Dörfler auf, setzten mich auf einen Eselskarren zurück nach Hause“, erzählt der Wirt. „Zu der Zeit waren zwei Italiener bei uns untergekommen, Paolo und Pasquale. Es waren zwei von vielen Deserteuren, die für Unterschlupf und Essen den griechischen Bauern bei der Arbeit halfen.“ Er organisierte Tabakblätter, und sie sangen dafür „Bella Ciao“. Papanastasious älterer Bruder Exarchos bekam bei einem Gemetzel von den deutschen Nazis eine Maschinengewehrsalve ins Bein. Schwer verwundet habe er drei Tage lang im Feld gelegen, erinnert sich Papanastasiou, aber er überlebte. Später half er Kostas als Barmann und spielte – wie Kostas – eine Rolle im Film von Bernhard Wicky: Auf der Insel Elba wurde „Die Eroberung der Zitadelle“ gedreht. Der Film machte das Terzo Mondo zum Berlinale-Treffpunkt der linken Regisseure. „Gott und die Welt waren in meiner Kneipe“, erinnert sich der „Lindenstraße“-Wirt.

Heute werden Sängerin Rachelina und die „Maccheronies“ Texte des in Neapel jüngst wiederentdeckten und gefeierten Dramatikers Raffaele Viviani interpretieren. „Er ist unser Bertolt Brecht“, schwärmt die gebürtige Neapolitanerin. Viviani beleuchtete die dunklen Seiten Napolis, die Welt der malavita, der Ganoven und Mafiosi. Passt doch, finden sich unter den Sponsoren des Terzo-Festes heute Abend Ristorantes mit schillernden Namen wie „Al Capone“ und „Rocco und seine Brüder“.

■ Festa della Liberazione, Terzo Mondo, heute um 20 Uhr