Gerhard Polt wird 70: Fast wia im falschen Leben

Herrschaftszeiten! Gerhard Polt, der große Satiriker, ist weder Philosoph noch Clown, sondern etwas wesentlich Altmodischeres: Humanist.

Ein sich mühsam verstellender Mensch, der früher oder später die Contenance verliert – das ist die zentrale Figur bei Gerhard Polt. Bild: dapd

Mittagessen mit Gerhard Polt. Schweinsbraten in Berlin. Der Künstler, unserer Zeitung zärtlich zugetan, wollte die damalige Chefredakteurin kennenlernen. Die fürchtete den derben Bärbeißer vermutlich ein wenig und rekrutierte, weil der Bayer vom Dienst gerade verhindert war, für den heiklen Termin kurzerhand mich, einen Pfälzer, also auch einen Süddeutschen im weiteren Sinne.

„Kein Interview“, sagte sie, „nur Konversation.“ Na gut. Und so kam es, dass ich Gerhard Polt gegenübersitzen und und zwei Stunden zweckfrei mit ihm plaudern durfte. Was kann ich sagen?

Gerhard Polt ist nicht lustig. Von ihm geht noch in den harmlosesten Sketchen eine Bedrohlichkeit aus, die ihresgleichen sucht und sich unter den professionellen „Comedy“-Hampelmännern und -frauen unserer Zeit nicht findet. Da ist der knapp zweiminütige Autoradioklassiker „Osterhasi“, den ich noch aus dem Südwestfunk kannte, meine früheste Erinnerung an den Mann.

Darin spricht Polt ein Kind, das sich insistierend über den „Nikolausi“ freut, während ein Erwachsener, auch Polt, zunächst gerührt, dann aber mit wachsender Wut dagegenhält, es handele sich, „ja Herrschaftszeiten, Malefiz“, um den „Osterhasi, du Rotzbub, OS-TER-HA-SI, verstanden?“ Irgendwann echauffiert er sich über das Kind mit einem Satz, der das entscheidende Betriebsgeheimnis dieses großen Satirikers enthüllt: „Ja, wenn einer mal sich in einen Gedanken förmlich hineinverrennt, dann ist er ja wie vernagelt!“

Das entspricht ganz der klassischen Humortheorie des französischen Philosophen Henri Bergson, für den alles Komische aus der Unbeweglichkeit des menschlichen Egos resultiert, aus einer momentanen Unfähigkeit zur nötigen Flexibilität, die vom Rudel als Abweichung erkannt und mit einem tadelnden Lachen quittiert wird.

Furiose Ausbrüche aufgestauter Bösartigkeit

Deshalb lässt Polt seine Miniaturen auch nie mit einer versöhnlichen Pointe enden, sondern meist mit einem finalen und furiosen Ausbruch von aufgestauter Bösartigkeit, von Ressentiment. Ein sich mühsam verstellender Mensch, der trotz aller Vorsätze früher oder später die Contenance verliert – das ist die in allen Varianten sich auffächernde, zentrale Figur im Schaffen von Gerhard Polt.

Hörbar: Eine Jubiläumsbox, 9 Tonträger – zum 70. Geburtstag fährt Gerhard Polt mit Großem und Bekanntem aus seinen 30 Jahren als Kabarettist auf, von „Der Erwin“ bis „Apokalypsen“. („Opus Magnum“, Kein & Aber Verlag)

Lesbar: Alles von Gerhard Polt Geschriebene ist in 10 Bänden versammelt – Geschichten, Stücke, Monologe und Dialoge aus der frühen Zusammenarbeit mit Hanns Christian Müller, selbst bislang Unveröffentlichtes. Ein Begleitbuch gibt überraschende Einblicke in Polts Leben. („Bibliothek“, Kein & Aber Verlag)

Reflektierbar: Über sich will er nicht nachdenken, über andere schon – solche und andere Reflexionen erörtert Gerhard Polt im Gespräch mit Herlinde Koelbl. („Gerhard Polt und auch “, Kein & Aber Verlag)

Sehbar: Der Kabarettist und sein unvollendetes Werk, eine Begegnung mit der Person Gerhard Polt, das bietet eine große Ausstellung in München. Das Ganze ist erklärtermaßen ein Nachruf zu Lebzeiten mit Fotografien, Exponaten aus seinem Privatbesitz, Filmausschnitten und eigenen Videokommentaren. („Braucht's des!?“, Ausstellung im Literaturhaus München, kuratiert von der Kulturwissenschaftlerin Sandra Wiest, bis zum 10. Juni 2012)

Die Komik besteht darin, dass das Crescendo nie ungebremst über die Bühne geht, dass der Wütende ungelenk über allerlei zivilisatorische Schranken stolpert, bevor er sie am Ende doch mit Wucht beiseitefegt. Als seismische Signatur dieser sich ankündigenden Eruption dient Polt oft ein freudlos-kumpelhaftes Lachen, ein einnehmend gemeintes „ä-hehe“, in dem schon die ganze joviale Durchtriebenheit einer Figur angelegt sein kann.

Vernagelt kann jeder sein: der frustrierte Junggeselle mit der Asiatin aus dem Katalog, der salbungsvoll dahersalbadernde Papst in seinem bairisch eingefärbten Italienisch, der übereifrige Tennisvater, der faule Bauarbeiter, der träge Automechaniker, der geprellte Kunde, der misstrauische Vermieter, der einfältige Tourist, der stolze Hundebesitzer … am Ende entpuppt dieser Jedermann sich immer als geifernder Unmensch, und der ist eben selten lustig, der ist noch in seiner Lächerlichkeit bedrohlich.

Logischer Zirkelschluss zum Faschismus

Da fügt es sich, dass Polt als letztes großes Projekt gern den logischen Zirkelschluss zum Faschismus vollenden möchte. Das Drehbuch für einen Film über einen vermutlich ziemlich vernagelten Adolf Hitler auf dem Obersalzberg existiert längst, Geldgeber werden aber noch gesucht.

Wie überfällig ein solcher Film wäre, hat stellvertretend für Polt unterdessen eine Gruppe von Filmstudenten bewiesen, indem sie historische Aufnahmen einer Rede von Adolf Hitler mit einem der Polt’schen Wutausbrüche unterlegten: Im YouTube-Hit „Der Leasingvertrag“ ereifert sich nun der „Führer“ darüber, vom Autohändler seines Vertrauens über den Tisch gezogen worden zu sein – und man schaudert, wie schlüssig und nahtlos das kleinbürgerliche Wüten und die staatsmännische Theatralik des Diktators zur Deckung zu bringen sind.

Zugute kommt ihm dabei die ungeheuere Musikalität und das sprachliche Gespür seines Vortrags. Politik, Kunstgeschichte und Geschichte hat er studiert, in Göteborg dann Skandinavistik und Altgermanisch, bevor er als Übersetzer nach München zurückkehrte, in dessen Ruinen er, Jahrgang 1942, aufgewachsen ist und wo er von seiner späteren Partnerin Gisela Schneeberger für die Kleinkunstbühne „entdeckt“ wurde.

Schon in seinem künstlerischen Debüt, dem 1976 für den Hessischen Rundfunk produzierten Hörspiel „Als wenn man ein Dachs wär’ in seinem Bau“, poltern mehr als dreißig verschiedene Anwohner einer von Gentrifizierung bedrohten Straße über die Unbarmherzigkeit der Zeitläufte, alle gesprochen von Polt.

Man wird ja wohl noch sagen dürfen

Hier zeigt sich schon, was ihn vom üblichen deutschen Kabarett, wo in der Regel ein scharfzüngiger Spötter auf der Bühne steht und recht hat, unterscheidet. Hier lässt einer alle Distanz fahren und anverwandelt sich Denkweise und Zungenschlag des Unmenschen in uns – um auszusprechen, was man ja wohl noch wird sagen dürfen.

„Manchmal sind’s nur Wortsplitter“, beschreibt Polt im Gespräch mit Herlinde Koelbl, „eigentlich ist es gar nichts, nur ein Tasten.“ Technisch mag er Dieter Hildebrandt viel verdanken, Musikalität und Haltung verbinden ihn enger noch mit Georg Kreisler: „Jede Figur hat eine individuelle Tonalität, man könnte ganz banal sagen: eine Seele, einen bestimmten Geruch, ein Aroma.“

Sich selbst bezeichnet er in stolzer Bescheidenheit als „Chronist“. Seine Figuren sind dem Leben in der Metzgerei, im Wirtshaus oder am Stammtisch abgelauscht, überspitzt vielleicht, selten erfunden. Weil Abgelauschtes noch kein Epos macht, ist Polt vor allem auf der erzählerischen Kurzstrecke unterwegs, auf der Bühne oder in Sketchreihen wie „Fast wia im richtigen Leben“.

Das eigene Schweigen kommentieren

Seine Kinofilme dagegen – „Kehraus“ (1983), „Man spricht deutsh“ (1988) oder zuletzt „Germanikus“ (2004) – waren von eher nachlassender Qualität. Auf der Bühne, bestenfalls gemeinsam mit der Biermösl Blosn, hat er nichts von der physischen und psychischen Präsenz verloren, die er schon 1980 bei der Verleihung des Deutschen Kleinkunstpreises unter Beweis stellte. Damals füllte er seine Redezeit von fast zehn Minuten im ZDF damit, massig herumzustehen und das eigene Schweigen zu kommentieren: „I sag nix … aus mir ist nix herauszubringen ... das ist zäh wie Sirup, ich weiß.“

Hintergrund war, dass Polt zuvor der Spitzname „Old Schwurhand“ für den damaligen Innenminister Friedrich Zimmermann (CSU) zensiert worden ist, womit er sich auf seine Weise revanchierte – mit einer dickfelligen, fast phlegmatischen Renitenz, die durch nichts zu korrumpieren ist und damit dem sympathischen Bild sehr nahe kommt, dass Bayern sich gern von sich selbst machen. Einen besseren Botschafter als diesen Unmenschen jedenfalls können sie sich nicht wünschen.

Der Schweinsbraten war „nicht so besonders“, sagte Polt damals. Irgendwie kam er darüber auf eine Stelle bei Herodot und blieb darauf hängen: antike Geisteswelt, fast zwei Stunden lang. Lustige Stellen bei Petronius, schlaue Stellen bei Seneca, traurige Stellen bei Thukydides. Weil’s grad so gmiatlich war.

Was kann ich sagen? Der Mann mag wie jeder Aufklärer im Zweifel links sein, ist aber weder Agitator noch Philosoph noch Clown, sondern etwas ganz anderes, wesentlich Altmodischeres, heute schon fast Abseitiges: Humanist. Nur deswegen kann er so beängstigend mimetisch das Unmenschliche verkörpern, weil sein Fundament die klassische Menschlichkeit ist.

Am Montag wird Gerhard Polt 70 Jahre alt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.