Drei Akkorde für eine Bratwurst

REBELLENKINO Das Punkfilmfestival „Too Drunk to Watch“ zeigt einen Querschnitt durch verschiedene Punk-Epochen und Filmgenres

Punk gehört längst auch ins Reich der Popmythen

VON JULIAN WEBER

Punk ist die Nouvelle Vague des kleinen Mannes. Ich kann’s belegen: Die New Yorker Punk-Keimzelle Richard Hell hat stets gesagt, dass er sein Aussehen – Stachelhaare und zerrissene Klamotten – nach dem Jungen in François Truffauts Film „Sie küssten und sie schlugen ihn“ (1959) modelliert hat. Punk hatte von Anfang an eine filmische Ader. Mal mehr, mal weniger Kunst. Und diese frei flottierende Haltung kommt auch in der Auswahl des Berliner Punkfilmfests „Too Drunk to Watch“ zum Tragen.

Nüchtern betrachtet liefern die 17 Filme aus dem Programm einen Querschnitt durch verschiedene Punk-Epochen und Filmgenres. Die klassische Dokumentation ist ebenso vertreten wie das selbst gedrehte B-Movie, es gibt eine Mockumentary, Kurzfilme und ein vielfach ausgezeichnetes Biopic. Ist ein Filmfestival überhaupt vereinbar mit dem Ethos von Punk? Sind seine Endzeitvisionen nicht die Antithese zu jeder Form von kulturellem Gedächtnis und der Idee, Stile und Moden der Jugend überblicksartig zu präsentieren? Die Antwort heißt Jein, denn Punk gehört ja auch längst ins Reich der Popmythen, wenngleich mit besonders radikalen und absurden Ausschlägen.

Eine zentrale These besagt, dass Punk maßgeblich von gesellschaftlichen Außenseitern gestaltet wurde. Dies unterläuft der US-Dokumentarfilm „You weren’t there. The Story of Punk in Chicago, 1977–1984“ (Regie: John Losudo und Christina Tillman) auf raffinierte Weise. Er beschäftigt sich mit der Subkultur in einer amerikanischen Stadt, deren musikalische Hervorbringungen zu Zeiten von Punk sträflich vernachlässigt wurden, weil die US-Medien an den Küsten sitzen und Neues eher in den Metropolen New York und Los Angeles verorten.

In Chicago war Punk nie cool, erzählt der Musiker Steve Albini. Trotzdem schafft es „You weren’t there“, eine Geschichte von lokalen Leidenschaften neu zu entfachen. Man sieht die Band Naked Raygun, die eine runtergestrippte, aber superenergische Version von Rock ’n’ Roll draufhat, und man versteht, wie sich Menschen an dieser ungekünstelten Form von Musik reiben und davon angestachelt Arschtritte wie Kusshändchen verteilen. Entstanden war die Szene in Chicago in einem doppelten Ausschluss. Viele der Protagonisten kamen aus der working class und hatten Großeltern, die aus Osteuropa und Irland eingewandert waren.

Willkommen waren die Punks zunächst im Schwulenclub „La Mere Viper“. Aber auch dort fielen sie bald mit ihrem Slamdancing und Stagediving aus dem Rahmen. Verfolgt von Polizei und Vorstadtschlägern, war Punk in Chicago eine Szene auf der Flucht, ohne Aussicht auf kommerziellen Erfolg. Die Ausschnitte aus Originalkonzertvideos sprechen eine andere Sprache, und die Interviews, die retrospektiv mit den Protagonisten geführt wurden, belegen den Willen, etwas Substanzielles gegen die widrigen Umstände unternommen zu haben.

Szenenwechsel in die Wurstfabrik: Der zweiteilige Horrortrash mit dem unappetitlichen Titel „Punk Rock Holocaust“ (2008) ist ein Amateurvideo über Gedärme. Gedreht wurde während der Warped Tour, einem vom US-Turnschuhhersteller Vans gesponserten Band- und Sportpackage, das quer durch die USA Abend für Abend einen Freizeitpark aufbaut. Zwischen Konzertbühnen und Fressbuden wird hier auf der Halfpipe geskatet, an einem künstlichen Felsen geklettert oder mit BMX-Rädern halsbrecherisch über Bodenwellen gefahren. Mainstream-Punk hat in den USA seit jeher Beziehungen zum Funsport.

Der zweiteilige „Hardcore Holocaust“ führt diese Mesalliance ad absurdum. Er erzählt die Geschichte der Tourreporterin Heather, die Zeugin wird, wie ein maskierter BMX-Fahrer während Konzerten von Screamo-Hardcorebands wie Rancid reihenweise Musiker und Fans massakriert. Keine Bad-Taste-Fantasie wird ausgelassen: Kletterer, vom Meißel geköpft, mit dem Brett erschlagene Skater, Musiker und Groupies, deren Veggie-Essen mit giftigem Fleisch kontaminiert wird. Bassisten, vom eigenen Instrument gepfählt. Und immer wieder Gedärme, mit denen dann weitere Punks erdrosselt werden. Hoffentlich läuft das Machwerk in der hölzernen deutschen Synchronisation.

„Ich war ein vorlautes Kind.“ Joe Strummer, Gitarrist und Sänger von The Clash, Punkikone, Posterboy, Hausbesetzer und Agitprop-Lautsprecher, war jemand, der im Auge des Orkans den Überblick behalten hat. Die Kompassnadel zittert, das Boot sinkt, aber Strummer bleibt poetisch. Das will uns „Joe Strummer – the Future is Unwritten“ glauben machen und widmet sich seiner Figur in der gebotenen Überlänge.

Der britische Regisseur Julien Tempel lässt seine Hauptfigur selbst urteilen, hat aber auch Prominente (etwa Martin Scorsese oder Bono Vox) befragt. Dass es dann auch scheußlich sentimental wird, geschenkt. Aber immer wieder auch brillant, wenn die Ausschnitte aus den Clash-Konzerten zu sehen sind und die Urknall-Energie, die diese Band und mit ihr Punk hat futuristisch werden lassen. Und was bleibt? „Wenigstens waren wir keine Hippies“, wie der US-Protopunk Mike Hudson einmal sagte.

■ „Too Drunk to Watch“: Punkfilmfest, von heute bis Samstag im Moviemento-Kino, www.moviemento.de