DAS KOMBINAT (4 U. SCHLUSS)
: Jason hatte recht

Ich war verdammt froh, als das Erdgeschoss erreicht war

Zwei Stunden später saß ich an der Rampe und schaute mir Beine an. Sie sahen wie Schwestern aus. Wie sie dort auf und ab gingen auf ihren hohen Absätzen. Auf dem Catwalk.

Mein Leben fand wieder einmal ungefähr zwischen „La Dolce Vita“ und „Celebrity“ statt. Ich wusste nicht, ob mir das gefallen sollte. Den Auftrag hatte ich innerlich bereits aufgegeben. Ich würde etwas Atmosphäre beschreiben, etwas Klatsch verbreiten, die Verdachtsmomente auflösen oder, was meine Spezialität war, ins Mysteriöse verschieben: Alles war etwas seltsam, das Blitzlichtgewitter, die Arbeitsbienen, die den Betrieb aufrecht erhielten, die Macherinnen und Macher im Hintergrund, die Preise, die Profiteure. Die großen Zusammenhänge, da hatte Jason ganz recht, waren längst im Anonymen verschwunden. Im System selbst. Nichts mit Namen.

Und niemand hier versuchte erst, gegen den Finanzstrom zu schwimmen. Es geht ja auch ums Flachlegen, es geht auf jeden Fall immer auch ums Flachlegen, hatte Jason noch betont. Ums Flachlegen oder ums Flachgelegtwerden, ergänzte ich.

 Nach der Schau saß ich in einer Garderobe und sprach mit einer der Vorführfrauen. Ein weiteres Bein kam mir entgegen. Die junge Frau, künstlich hellblond, mit Narben auf den Unterarmen, lutschte gelangweilt auf ihrem Zungenpiercing herum und murmelte ihre Antworten daher. Im Wesentlichen bestätigte sie meine Thesen. Sie fühlte sich unterbezahlt, wie die meisten hier. Ausgenutzt, ausgebeutet, und nach einer Weile und zu vielen Giften ausgebrannt. Aber Spaß mache es offensichtlich doch.

 Am Ende des Tages leuchteten Knöpfe. Im Aufzug stand ein Geruch nach Metall. Ich war verdammt froh, als das Erdgeschoss erreicht war und ich aus dem silbernen Blechkasten nach draußen springen konnte. Ich ließ sie alle hinter mir, rauschte durchs Foyer und eilte auf die Straße.

RENÉ HAMANN