Der letzte Plattenladen

VINYL In dem Dokumentarfilm „Sound It Out“ stellt Jeanie Finlay den einzig übriggebliebenen record shop in ihrer englischen Heimatregion Teesside vor

Dass nun ein Film über dieses Pop-Phänomen gemacht wurde, zeigt, dass seine Tage gezählt sind

VON WILFRIED HIPPEN

Die unabhängigen Plattenläden sind schon länger eine vom Aussterben bedrohte Gattung. Zuerst mussten sie den Angriffen der großen Ladenketten widerstehen und dann gaben ihnen Amazon und E-Bay den Todesstoß. In ihren besten Zeiten, den 70er und 80er Jahren, waren sie Marktplätze und Brutstätten der Subkulturen. Hier konnte man obskure Platten und seltene Sonderpressungen finden, seinen musikalischen Horizont erweitern und man wusste sich mit den anderen Musiksüchtigen unter seinesgleichen, selbst wenn man deren Geschmack verabscheute. Meistens war der Ladenbesitzer die einzige unangefochtene Autorität, denn er hatte alles gehört und wusste genau, wo welche Platte in seinem Laden zu finden war. Nick Hornby hat solch einen Mikrokosmos in sehr anschaulich und authentisch seinem Roman „High Fidelity“ beschrieben.

Dass nun ein Film über dieses Phänomen der Popkultur gemacht wurde, ist in sich schon ein Beleg dafür, dass seine Tage endgültig gezählt sind. Denn eine der edlen Aufgaben des Dokumentarfilms besteht darin, kurz vor deren Verschwinden dokumentarische Zeugnisse von Kulturen, Lebensstile und den Menschen, die durch sie geprägt wurden, zu schaffen, damit diese aufgehoben und nicht vergessen werden. Solch einen Film hätte man in vielen Ländern und Städten drehen können, so etwa über den Laden „Ear“ im Bremer Viertel.

„Sound It Out“ ist der Name des Ladens von Tom Butchard. Im gesamten Nordosten Englands ist dies inzwischen der einzige unabhängige Vinyl-Plattenladen. Es ist ein kleiner Tempel der Popmusik und es reicht, wenn die Filmemacherin Jeanie Finlay nur die Gesichter der Kunden zeigt, die stöbern oder nach einer bestimmten Platte suchen und dabei so konzentriert und hingebungsvoll wirken, dass man spüren kann, wie wichtig ihnen ihre Leidenschaft ist. Die Filmemacherin ist mit Tom zur Schule gegangen, und diese Vertrautheit kommt dem Film sehr zu gute. Die Angestellten im Laden, aber auch die Kunden lassen die Kamera sehr nah an sich herankommen, und neben den vielen Sequenzen, die im Laden selber gedreht wurden, geht Finlay mit einigen Stammkunden in deren Wohnungen. Dort wird dann stolz die Plattensammlung vorgeführt, wobei dann die obligatorische Frage „wie ordnest du deine Platten ein“ gestellt und mit „alphabetisch“ eher enttäuscht beantwortet wird. Die Männer (und es sind ausschließlich Männer, denn sie lieben, so Tom: „die Musik und das Sammeln“) erzählen von ihren musikalischen Obsessionen und öffnen sich in den Gesprächen so, dass sie auch von Krankheit und Selbstmordversuchen reden.

Die Fans von Status Quo, Heavy Metal Metal, David Bowie oder fürchterlicher spanischer Discomusik namens Makina treffen sich regelmäßig im Laden bei Tom, der alles kennt und nichts beurteilt. Er ist freundlich zu dem Schnorrer, der sich alles im Laden greift, was umsonst ist und dann noch nach einer Tüte dafür fragt und reserviert Platten für Stammkunden, die gerade knapp bei Kasse sind. Finlay lässt ihre Kamera immer wieder mit liebevoller Aufmerksamkeit über Plattencover streifen (noch eine sterbende Kulturform) und natürlich hört man viel Musik in ihrem Film. Eine in Teesside aufgewachsene Sängerin sowie die Rock ¥n¥ Roll Band „Russell and the Wolves“ geben Konzerte im Laden und wenn deren Sänger auf den Ladentisch springt, steht Tom mit einem zufriedenen Lächeln direkt daneben. Der Film fängt viele von diesen kleinen Glücksmomenten ein, denn Jeanie Finlay hat mit ihm eine Liebeserklärung an ihren kleinen Plattenladen gemacht. Da passt es dann auch, wenn ein alter Kunde „Love ya, Baby“ zu ihr sagt und direkt in die Kamera küsst.