Wo Wölfe posieren

INSELN IN DER STADT Die Künstlerin Isa Melsheimer greift in ihrer Ausstellung „A Green Archipelago“ eine alte Utopie auf

Die „grüne Insel“ zeigt Melsheimers filternden Blick im Umgang mit Architektur

VON JULIA GWENDOLYN SCHNEIDER

Wenn nachts ein Fuchs durch die Eingangshalle der Berliner Staatsbibliothek geistert, muss er sich verirrt haben. Und doch wirkt er auf Isa Melsheimers menschenleerer Gouache von diesem Ort, als ob er dort hingehört. Der Künstlerin gelingt es ungewöhnlich gut, sich mit ihren Werken im Grenzbereich von Imagination und Wirklichkeit, von fiktivem Weltentwurf und realem Architektur- und Landschaftsraum zu bewegen.

In der aktuellen Ausstellung bei Esther Schipper greift sie eine Reihe bauhistorischer Gebäude auf, die im weiteren Umfeld der Galerie am Schöneberger Ufer zu finden sind. Dazu zählt der „Umlauftank“ (2012), eine Arbeit über das gleichnamige Bauwerk auf der Schleuseninsel im Tiergarten. Melsheimer widmet der denkmalgeschützten „Rosa Röhre“, der Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau, nicht nur eine zeichnerische Studie, deren Realismus sie mit Adler-Ornamenten bricht, sie stellt auch einen kleinen Betontisch mit Büropflanzen davor auf. Eine augenzwinkernde Geste, die sich nicht leicht erschließt. Tatsächlich aber befindet sich im oberen Teil des Gebäudes ein Raum, der mit Büropflanzen vollgestopft ist. Da der Umlauftank heute kaum mehr genutzt werde, hätten die Leute, die dort arbeiten, viel Zeit für die Pflanzenpflege, ein Aspekt, den die Künstlerin mit dem Pflanzentisch hervorhebt.

Die so erzeugte „grüne Insel“ zeigt Melsheimers filternden Blick im Umgang mit gebauter Architektur und passt zum theoretischen „Überbau“ ihrer Schau, der Vorstellung von „grünen Inseln in der Stadt“, wie sie die Architekten Oswald Mathias Ungers und Rem Koolhaas im Jahr 1977 in ihrer Studie „Berlin, das grüne Stadtarchipel“ postulierten. Entgegen der damals populären Doktrin der Rekonstruktion schlugen sie eine polyzentrische Stadtfigur vor, die ein neues Verhältnis zwischen Stadt und Natur implizierte: eine Stadt von Inseln, die sich in Geschichte, Sozialstruktur und stadträumlicher Qualität unterscheiden und von Leerräumen umgeben sind, die zurückgebaut und als Grünzonen ausgewiesen werden.

Mit der Ausstellung „A Green Archipelago“ drückt Melsheimer ihre Faszination für das damalige Konzept aus, dessen Vielschichtigkeit im Umgang mit der Stadt sie auch vor dem Hintergrund fehlgeleiteter Entwicklungen in Berlin gerade heute wieder wichtig findet. Das „Insel-Konzept“ dient ihr als Ausgangspunkt für die eigene Perspektive. „Ich möchte den Text nicht bebildern, für mich stecken da einfach Punkte drin, die mich faszinieren, und andere, die ich überlese oder anders lese, als sie vielleicht gedacht sind.“ Ihr „(Stadt)Archipel“ (2012), ein mit einer Berlinkarte bestickter Vorhang – mit Orten, die Inseln in der Stadt sind oder sein könnten –, drückt ihre Souveränität und Leichtigkeit im Umgang mit dem radikalen Manifest gut aus. Zu sehen sind beispielsweise eine Brache in Schöneberg, Mies van der Rohes Nationalgalerie oder ein konstruktivistisches Modell von Iwan Leonidows Bandstadt – ein historisches Zitat aus Ungers’ und Koolhaas’ Text.

Botschaften sind bei Melsheimer meistens nichts, was offensichtlich im Raum steht, sie können sogar von einer absichtsvollen Unschärfe geprägt sein. Wenn beispielsweise in einer Gouache zwei Wölfe in dem steinernen Skulpturengarten hinter der Neuen Nationalgalerie anmutig posieren und so den kühlen Formalismus der Umgebung sachte unterwandern, bleibt doch die Frage, ob diese Zurückeroberung der Natur nicht einen Schritt zu weit ginge, eine Utopie, die in eine Dystopie kippt?

Im Gespräch mit der Künstlerin wird deutlich, dass sie einen positiven Blick auf Berlin werfen wollte und die von ihr aufgegriffenen „Inseln“ als Beispiele dafür ansieht. Dass es Melsheimer aber auch um eine Kritik an der Wohnraumspekulation und an der zunehmenden Privatisierung geht, macht ein Betonmodul besonders deutlich, das sich auf Ungers’ Wohnbebauung am Lützowplatz im Rahmen der IBA bezieht. Ihr schlichtes Model zeigt evident, dass Ungers bei diesen Bauten Innen- und Außenraum gleichgroß gestaltet hatte, womit er das Prinzip der Stadtvilla auf den sozialen Wohnungsbau übertrug. 2011 wurden die Häuser allerdings, trotz öffentlicher Proteste, zum Abriss freigegeben.

■ Isa Melsheimer, „A Green Archipelago“, Esther Schipper, Schöneberger Ufer 65, bis 28. Juli