Nichts ist unmöglich

BEI DÜSENTRIEBS NACHFAHREN Elektrifizierte Gespenster findet man nicht alle Tage, man muss dazu schon in die Erfinderwerkstatt der Jugendkunstschule Pankow kommen. Ein Besuch dort und im Erfinderladen

■ Werden wir in Zukunft allen unseren Stühlen Socken überziehen oder eine Dose besitzen, die mit Zeit gefüllt ist? Es gibt einen ganzen Laden mit solchen und vielen weiteren Erfindungen. Das Geschäft bietet rund 200 Artikel an, bekommt aber pro Monat ungefähr 100 neue Erfindungsvorschläge. Der Erfinderladen in Prenzlauer Berg sieht von außen eher unscheinbar aus, ist aber innen randvoll mit kreativen kleinen Meisterwerken. Auch wenn man die Notwendigkeit eines „Anti-Zickensprays“ bestreiten mag, ist ein Besuch des kleinen Ladens in der Lychener Straße einen Besuch wert. In diesem Jahr wollen die Besitzer, Marijan Jordan und Gerhard Muthenthaler, in Hamburg, Köln und Wien, weitere Filialen eröffnen – und sogar einen in Miami. An den Berliner Laden ist ein „Museum zukünftiger Erfindungen“ angeschlossen, in dem Prototypen für zukünftige lebensverändernde Erfindungen ausgestellt sind. Hier findet man eine Schubkarre, die zwei Achsen hat, eine bessere Federung für Kinderwägen, eine Klobürste, die sich an das Toilettenbecken anhängen lässt. PHOEBE TSORPATZIDIS

VON HELMUT HÖGE

Die Erfinderwerkstatt, das sind zwei Wochenkurse in der Pankower Jugendkunstschule (Juks). Die jugendlichen Erfinder sind zwischen 8 und 13 Jahre alt und werden vom Bildhauer Christian Badel betreut, der seine Werkstatt „Düsentrieb & Co“ nennt. Das Motto des Entenhausener Erfinders lautet: „Nichts ist unmöglich und erfinden kann man eigentlich alles.“

Vor einiger Zeit wurden die Kursteilnehmer von der japanischen Kunsterzieherin Miho Yamanari interviewt. Sie leitet eine Malschule in Tokio und kooperiert mit der Pankower Kunstschule. Die Jugendlichen erzählten ihr, an was sie gerade arbeiten: Einer z. B. an einer „Zeitmaschine“, ein anderer an einer „Seifenkiste“ und ein dritter an einem „Gespenst“. Aus den zum Teil elektrifizierten Gespenstern entsteht demnächst eine „richtige Geisterbahn“.

Für ihre „Wunschmaschinen“ benutzen die Kinder Teile von ausrangierten Computern, Radio- und Videogeräten, Fernsehern und Küchengeräten. Neben der Realisierung von Konstruktionsideen lernen sie dabei den Umgang mit Materialien und Werkzeugen – wie Kreuzschraubendreher, Akkubohrer, Stichsäge und Klebepistole. Wenn sie sich bei thematischen Aufgaben zu Teams gruppieren, lernen sie dabei außerdem noch das Zusammenarbeiten, aber auch die Konkurrenz – Schummelvorwürfe werden laut, es fallen Worte wie „Ideenklauer“ und mancher denkt schon an eine profitable Verwertung seiner zukünftigen Konstruktion, wobei sich das Problem einer angemessenen finanziellen Beteiligung der Teamkollegen stellt.

Die Erfinderwerkstatt gibt es seit 12 Jahren, neben dem freien Arbeiten stellt Kursleiter Badel den Kindern immer mal wieder Aufgaben, die Vorüberlegungen und einen Plan erfordern: „Werfe ein Ei aus dem 2. Stock der Juks ohne dass es kaputtgeht!“ Kürzlich sollten zwei Schülerpraktikanten der taz, Cherifa Rezek aus Neukölln und Phoebe Tsorpatzidis aus Heidelberg, eine Reportage über die Erfinderwerkstatt schreiben. Die Juks war an dem Tag jedoch geschlossen, weil alle Mitarbeiter der von Etatkürzung bzw. Schließung bedrohten Kultureinrichtungen in Pankow und Prenzlauer Berg vor der Bezirksverordnetenversammlung für den Erhalt ihrer Einrichtungen und ihrer Arbeitsplätze demonstrierten. Die beiden Praktikanten schlossen sich erst der Demo an – und besuchten dann einen „Erfinderladen“ im Prenzlauer Berg. Dieser wird privatwirtschaftlich betrieben. Die Inhaber beraten Erfinder und helfen ihnen bei der Vermarktung ihrer Ideen.

Bis 2013 ist die Jugendkunstschule Juks gerettet, bekommt aber weniger Zuschüsse

Viele Waren des Erfinderladens könnten auch aus der Erfinderwerkstatt stammen, wie umgekehrt einige der von Kindern hergestellten Gegenstände, etwa ein „Nasenwärmer“ oder ein „USB-Stick, mit dem man Pommes essen kann“ – gut und gerne auch im Erfinderladen verkauft werden könnten. Das wäre jedoch keine Lösung, um die Juks zu erhalten, deren Lehrkräfte deswegen weiter gegen die vom Bezirk angedrohten Honorarkürzungen protestierten. Als jetzt verspätet von der rotgrünen Bezirksregierung der Haushalt für dieses Jahr verabschiedet wurde, kam heraus, dass die Pankower Jugendkunstschule zwar erst einmal „gerettet“ ist, mindestens bis 2013, denn so lange sind die Beschlüsse des Bezirkes gültig, dass sie aber weniger Zuschüsse bekommt – etwa 7.000 Euro. Gleichzeitig wurde endlich die 2009 begonnene Renovierung des Schulgebäudes, die über eine Million Euro kostete, abgeschlossen.

Allerdings sieht sie nun so aus wie eine normale Pflichtschule, die man schon mal bereit hält und die so lange von der Juks bespielt werden darf – bis die geburtenstarken Jahrgänge neue Schulen brauchen (nach der Wiedervereinigung hatte man zunächst etliche Schulen und Kitas geschlossen). Ob dann von der Schule eine Zusammenarbeit mit der Juks angestrebt wird, darf bezweifelt werden.

Wie eine Umfrage der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft gerade ergab, spielt die musische und künstlerische Bildung in allen Schulen eine immer geringere Rolle. Männliche Jugendliche mit niedriger Schulbildung kommen bereits so gut wie gar nicht mehr damit in Berührung. Immerhin gibt es in Berlin nach der Schule und gegen eine geringe Kursgebühr Angebote von mittlerweile 11 Jugendkunstschulen.