Kalt. Neutral

ATOMKRAFT Wie beherrschte Unbeherrschbarkeit aussieht. Eine Fotodokumentation von Thorsten Klapsch

Niemand schreibt schöner über Atomkraftwerke als die Kraftwerksbetreiber selbst: „Am Unterlauf der Weser, mehr dem Meer als dem Lande zugewandt, dort, wo seit ewigen Zeiten Ebbe und Flut das Leben am Strom bestimmen, liegt das Kernkraftwerk Unterweser.“ Und weiter: „Ebbe und Flut sind es auch, die besondere bauliche Anordnungen erforderten, um die Anlage immer mit genügend Kühlwasser zu versorgen und um den Wärmehaushalt der Weser nicht zu belasten.“ Das schreibt der Stromkonzern Eon, rührend bemüht, eine Idylle zu malen. Was aber, wenn das Kernkraftwerk mal nicht „mit genügend Kühlwasser“ versorgt wird?

Eons AKW-Poesie verbirgt das Horrorszenario und legt es genau damit offen. In Wiesen eingebettet liegen die betonummantelten Reaktorblöcke, am Rande von Dörfern oder in Flusstälern sich duckend. Was, wenn? Wer dächte das nicht, wenn er an einer dieser Anlagen vorbeifährt? Nur einen Gedankenaugenblick weiter, und die Straßen wären voll von Flüchtenden, weg von der bedrohlichen Wolke.

Der Berliner Fotograf Thorsten Klapsch spricht von Tabuzonen, die die Atomkraftwerke umgeben, von hermetisch abgeriegelten Bereichen. In diese Zonen wollte er eindringen.

Klapsch hat sich auf den Weg gemacht, hat die Atomkraftwerke fotografiert, von außen zunächst, dann, ab 2010, als die schwarz-gelbe Bundesregierung den rot-grünen Atomausstieg rückgängig machte, auch von innen. Schwierig war es, die Genehmigungen zu bekommen, schließlich drang er ins Innerste von sechs AKWs vor, eingepackt in Strahlenschutzanzüge, begleitet von Sicherheitsleuten. Er sah konservierte Architektur aus den sechziger und siebziger Jahren. Räume, die nie schön sein mussten, weil niemand sie sehen sollte. Dazu Banales wie Kantinen oder Fitnessräume, mintgrüne Türen, hellblaue Regale, sanft abgetöntes Bedrohliches.

Klapschs Kraftwerksbilder sind Zeugnisse einer veralteten Technologie. Sie entsprang dem naiven Glauben an die Beherrschbarkeit des Unbeherrschbaren. Jetzt, da der Ausstieg beschlossen ist und einige Reaktoren stillgelegt sind, sieht man die AKWs anders. Gelassener. Felix Zimmermann

Thorsten Klapsch: „Atomkraft“. Edition Panorama, Mannheim 2012, 320 S., 65 Euro. Bis zum 19. Juli ist die Fotoarbeit „Atomkraft“ in Berlin, im StageBrothers’ Inn, Eisenbahnstraße 12 zu sehen