Ein Ausflug aus dem Altenheim

REISE 1 Mit „Bis zum Horizont, dann links!“ hat Bernd Böhlich eine märchenhafte Komödie darüber gemacht, wie in unserer Gesellschaft mit den Alten umgegangen wird

Angelica Domröse, Ralf Wolter, Tilo Prückner und vor allem Otto Sander sind inspiriert vom Stoff und ihren Rollen

VON WILFRIED HIPPEN

Es ist ein bewährtes Rezept, gesellschaftliche Probleme in Form einer Komödie anzusprechen. So kann man im Detail von Missständen erzählen, den Opfern ein Gesicht geben und gleichzeitig unterhalten. In „Bis zum Horizont, dann links!“ geht es darum, wie in einer modernen Wohlstandsgesellschaft mit alten Menschen umgegangen wird. Viele der Bewohner des Seniorenheims „Abendstern“ fühlen sich von ihren Familien abgeschoben, und mit der jüngsten „Insassin“ Annegret Simon lernen wir am Anfang des Films ihre Familie, das Heim, die anderen Bewohner, die dort arbeitende Schwester und die resolute Heimleiterin kennen. Obwohl dies ein Nobelaltersheim ist, das damit wirbt, wie luxuriös die Bewohner ihren „Lebensabend genießen können“, werden sie wie Kinder behandelt und verlieren so entmündigt schnell ihre Würde. Im Widerstand dazu pflegen einige ihre Marotten, andere flüchten sich in Depressionen oder Sarkasmus.

Nach dieser halbwegs realistischen und ökonomisch erzählten Exposition bekommt der Film schnell einen märchenhaften Ton, wenn der rebellische Herr Tiedgen bei einem organisierten gemeinsamen Rundflug das Flugzeug (mit der Junkers-Ju passenderweise ebenfalls ein altes Stück) entführt, um noch ein letztes großes Abenteuer zu erleben. Es reicht, wenn er ein wenig mit einer Pistole herumfuchtelt, und statt um ihr Leben zu fürchten, sind die meisten alten Leute schnell auf seiner Seite und sehen die Entführung als eine Gelegenheit, ein letztes großes Abenteuer zu erleben. Ganz demokratisch wird abgestimmt und die Mehrzahl entscheidet sich dafür, lieber zu entführen als entführt zu werden. Danach gibt es spannende Momente wie eine Zwischenlandung auf dem Flughafen in Wien und natürlich geht auf den letzten Metern über dem Mittelmeer das Benzin aus, aber Böhlich inszeniert auch dies in einem so treuherzig, verschrobenen Ton, dass es nie wirklich spannend wird. Zudem segeln einige Szenen hart am Rande des Klamauks entlang und es klaffen Löcher in der Erzählung. So verwandelt sich etwa die Besatzung allzu plötzlich von Entführungsopfern zu Mittätern.

Mit der Pflegerin und dem Copiloten hat Böhlich sich für die obligatorische Liebesgeschichte dann doch wieder bei den jüngeren Filmfiguren bedient. Dies ist zwar eine nachvollziehbare, aber eben auch halbherzige Entscheidung. Anna Maria Mühe und Robert Stadlober sind ein schönes Paar, aber sie werden von dem beeindruckend zusammengesetzten und agierenden Ensemble mit deutschen Schauspielgrößen an die Wand gespielt. Angelica Domröse, Ralf Wolter, Tilo Prückner und vor allem Otto Sander sind offensichtlich inspiriert von dem Stoff und ihren Rollen. Man sieht ihnen durchweg gerne zu und gönnt ihnen von Herzen den kleinen subversiven Ausbruch. So wird auch ein großer Monolog des Herrn Tiedgen, in dem die ganze Problematik noch einmal verdichtet formuliert ist, durch die Intensität und den Pathos im Spiel von Sander zu einem der berührendsten Momente des Films.

Man merkt auch hier, dass Böhlich kein geborener Erzähler ist. Schon das Kinodebüt des erfahrenen Fernsehregisseurs, „Du bist nicht allein“ (2007), holperte in der Dramaturgie, hatte dafür aber einige schön konzipierte und inszenierte Szenen wie jene, in der Axel Prahl beim Feiern mit seinen russischen Nachbarn die Schnulze von Roy Black schmettert. Hier zeigte sich auch, wie gut Böhlich Schauspieler führen kann, und genau wegen dieser Qualität kann man über die offensichtlichen Mängel im Drehbuch hinwegsehen. Und anders als bei Leander Hausmanns peinlich missglückter Gaunerkomödie „Dinosaurier – Gegen uns seht ihr alle alt aus“ (manchmal sagen ja die Filmtitel schon genug) spürt man hier in jeder Einstellung, wie solidarisch und liebevoll von diesen alten Menschen erzählt wird.