Architektur-Ausstellung in Berlin: Der schöne Schein des Guten

Was sind die Zusammenhänge von Architektur und Ideologie? Danach fragt eine große Ausstellung im Berliner Haus der Kulturen der Welt.

Aufbau von Wang Shus „Tiles Garden“ auf dem Dach der Kongresshalle. Bild: Judith Affolter/Haus der Kulturen der Welt

Noch während Europas Trümmerberge rauchten, nahmen die Siegermächte Anlauf zu ihrem nächsten Krieg. Eine Hauptfrontlinie darin hieß: Kultur. Moskau und Washington waren gleichermaßen bemüht, die europäischen Eliten für sich zu gewinnen.

Den wohl wichtigsten Schauplatz hierfür bot Berlin, dessen vier Sektoren mit Konzerten, Vorträgen, Filmvorführungen und Kunstausstellungen regelrecht geflutet wurden. Auch Städtebau und Architektur boten Anlass für Rivalitäten und Eifersüchteleien: Hansaviertel contra Stalinallee, Leipziger Straße contra Springerhaus, ICC contra Palast der Republik – mit Ziegelstein und Sichtbeton im Kulturkampf der Systeme.

Ein Kampf übrigens, der auf westlicher Seite mit erstaunlich offenem Visier geführt wurde, denn die der amerikanischen Initiative zu verdankenden Vorzeigeprojekte – ob Studentendorf Schlachtensee, Klinikum Benjamin Franklin, Amerika-Gedenkbibliothek oder Kongresshalle im Tiergarten – wurden unverblümt als „Symbole und Werkzeuge“ im Ideologienstreit des Kalten Krieges gepriesen.

Die Kongresshalle

Stolz verwies Eleanor Dulles, Berlin-Beauftragte im US State Department und Schwester des damaligen CIA-Direktors, anlässlich der Kongresshalleneröffnung 1959 auf die großen Summen, die für neue Gebäude aufgewandt wurden, „nicht nur weil sie nötig waren, sondern weil sie unser langfristiges und anhaltendes Interesse versinnbildlichen“.

Ach ja, die Kongresshalle: Einen „Symbolbau der Freundschaft zu Amerika“ hatte Hugh Stubbins den Berlinern schenken sollen, einen „Ort der freien Rede“, der wie ein „Leuchtturm in Richtung Osten strahlen“ würde. Der Architekt versteifte sich so unnachgiebig in den rhetorischen Zweck der Bauaufgabe, dass dahinter alle statischen Probleme verblassten. Sein kühn aufschwingendes Dach war in Wirklichkeit gar keine Schale, sondern ein über verborgene Stützen umständlich zusammengebasteltes „Bild der Schwerelosigkeit“.

Politiker und Publikum waren begeistert von solch fulminanter Ausdruckskraft; harsche Kritik hagelte es dagegen von Ingenieuren, die baukünstlerische Eleganz in ehrlichen Tragstrukturen suchten. Für sie war das politisch überhöhte Prestigeobjekt eine konstruktive Absurdität, weshalb sie nur hämisch mit den Schultern zuckten, als im Mai 1980 die „potemkinsche Imponiergeste herunterklappte wie eine Mausefalle“ (G. Neumann).

Nicht viele Bauwerke lassen sich so unmittelbar als steingewordene Ideologie ausdeuten. Und es gibt deshalb wohl auch keine bessere Kulisse für jene unlängst ins Leben gerufene „Initiative Weltkulturerbe Doppeltes Berlin“, die der Nachwelt die baulichen Manifestationen der einstigen Frontstadt erhalten möchte.

Einen September lang darf die Initiative ihr Hauptquartier unter dem scheinheiligen Dach aufschlagen, mit Kongress und Aufruf zur Materialsammlung zählt sie zu den zehn „Kunstprojekten“, die Valerie Smith, scheidende Kuratorin für Bildende Kunst, Film und digitale Medien am Haus der Kulturen der Welt, dem Berliner Publikum als Abschiedsevent serviert. Das Projekt mit dem nebulösen Titel „Between Walls and Windows“ verlässt sich ganz auf die suggestive Wirkung einer von „Freiheit“ sprechenden Architektur.

Architektur und Ideologie

Nach 55 Nutzungsjahren von sämtlichen Um- und Einbauten befreit und weithin leergeräumt, machen die dynamisch ineinanderfließenden Außen- und Innenräume den idealischen Geist der Architektenidee tatsächlich wieder sichtbar: Das größte Exponat genügt so am überzeugendsten dem herausfordernden Untertitel der Ausstellung „Architektur und Ideologie“.

Nicht allen Beiträgen gelingt das gleichermaßen. Relativ einfach sind die Filmsequenzen von Angela Ferreira zu entziffern, anhand der Sprengung eines Hotelhochhauses in Maputo/Mosambik ruft sie das schwierige Kapitel von Kolonialarchitektur als „Kulturtransfer mit ökonomischen Hintergedanken“ auf.

Noch unzweideutiger geht es bei Terence Gower zu, der in seiner Baghdad Case Study die dortige erste US-Botschaft, einen klassisch modernistischen Repräsentationsbau von 1957, mit dem jetzigen „Bunker“ konfrontiert, einem gigantischen Hochsicherheitskomplex von der Größe eines ganzen Stadtviertels am Tigris, die größte und wohl am wenigsten einladende Auslandsvertretung der USA weltweit.

Kryptisch dagegen Marco Sancanin im Untergeschoss der Halle – seiner Deutung einiger rätselhafter Bauskizzen auf einer jahrzehntelang verborgenen Wand lässt sich ohne Hintergrundwissen um den Konflikt zwischen Architekt und Statikern kaum folgen. Markus Miessen erweist mit dem Kiosk auf der spreeseitigen Dachterrasse einem typischen Architekturmotiv jener 1950er Jahre gebührende Reverenz, seine „interaktive“, aber beliebige Veranstaltungsfläche bleibt hinter dem genauso partizipativen „Congressroom“ der Weltkulturerbe-Initiative jedoch deutlich zurück.

Befremdlich verspielt kommt der Berliner Architekt Arno Brandlhuber daher, der nach Politgrößen benannte Orchideen (von Kim Il Sung über Margaret Thatcher bis Angela Merkel) zu einer Begrüßungsparade aufbaute. Auch Supersudaca hinterlassen mit ihrer parodistischen Performance zum Thema „Ratingagenturen“ an diesem Ort eher Ratlosigkeit.

Iñigo Manglano-Ovalle installierte auf der Bühne des großen Saales ein Rednerpult, dessen Mikrofone jedem offen stehen, wobei die „freie Rede“ aber nicht ins Auditorium, sondern „garantiert unzensiert“ in die imaginäre Öffentlichkeit des Internets geleitet wird – merkwürdige Uminterpretation eines „speakers corner“, die zusätzliche politische Konnotation erhält, wenn man weiß, dass dieser Saal vom Architekten seinerzeit direkt der Assembly Hall des New Yorker UNO-Gebäudes nachempfunden wurde.

Botschafter einer eigenständigen Baukultur

Bleibt noch die prominenteste Installation zu erwähnen, das „Dachziegel-Theater“ des Amateur Architecture Studio aus Hangzhou. Wang Shu und Lu Wenyu sind derzeit weltweit gefeierte Botschafter einer eigenständigen Baukultur „made in China“. Ihre konstruktiven Erfindungen beeindrucken durch Schlichtheit und die Unbekümmertheit, mit der sie sich auf archaische Materialien und Bautechniken einlassen.

Soeben mit dem renommierten Pritzkerpreis ausgezeichnet, lockte ihr Auftritt am vergangenen Sonntag eine große Fangemeinde auf ihr aus Holzbohlen, Bambus und Abrissziegeln gefügtes Open-Air-Plateau. Lächelnd wies Wang Shu zum elegant schwingenden Kongresshallendach: „Solche Symbole sind jetzt auch in China sehr gefragt. Unsere Leute sehnen die Freiheit herbei, und sie bekommen die entsprechenden Architekturbilder geliefert, massenhaft. Alles, was an traditioneller chinesischer Kultur wichtig und wertvoll ist, wird dabei zerstört.“

Und plötzlich stand der Schein des Guten, diese ganze unterschwellige Affirmation der schönen Marshallplan-Architektur, infrage. Von da an müsste man das Ausstellungsthema wirklich noch einmal neu durchdenken.

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