Der sturste aller sturen Hunde

FILMFESTIVAL Sein Werk kreist um die Möglichkeiten und Beschränkungen des analogen Films: Die Wiener Viennale widmete sich dem österreichischen Avantgardisten Peter Kubelka und zeigte sein minimalistisches „Monument Film“

Kubelkas Film „Arnulf Rainer“ besteht aus den vier Grundelementen des Kinos: Licht, Schatten, Ton, Stille. Das heißt, der Film setzt sich ausschließlich aus transparenten oder schwarzen Filmkadern zusammen

VON SVEN VON REDEN

Nein, ein Kompromiss sei nicht möglich gewesen, erklärte der langjährige Viennale-Leiter Hans Hurch zu Beginn des Festivals dem deutschen Branchenblatt Blickpunkt Film. Sie seien beide einfach „sture Hunde“. Er meinte sich selbst und Ulrich Seidl, den nach Michael Haneke wohl renommiertesten zeitgenössischen österreichischen Filmemacher. Seidl hatte kurz vor Festivalbeginn seine beiden aktuellen Arbeiten, „Liebe“ und „Glaube“, Teile der Trilogie „Paradies“, zurückgezogen, weil das Festival sie lediglich um 18 Uhr zeigen wollte und nicht um 20.30 Uhr.

Keine Experimente

Aus einem letztlich für das Publikum kaum relevanten Streit um zweieinhalb Stunden wurde schnell eine über die Medien ausgetragene grundlegende Diskussion über das Verhältnis des größten österreichischen Kinoereignisses zum heimischen Film. Fehlten nicht auch Hanekes Werke schon seit über zehn Jahren im Programm? Darf ein Festivalleiter die gleiche Autonomie für sich in Anspruch nehmen wie die Filmemacher selbst? In den Empfindlichkeiten auf beiden Seiten spiegelt sich ein offenbar schon seit Jahren zerrüttetes Verhältnis.

Einen Österreicher gab es allerdings, der sein neuestes Werk in einer Galavorführung zur besten Abendzeit im größten Kinosaal des Festivals vorstellen durfte. Es handelt sich um den wahrscheinlich stursten Hund unter allen Filmemachern dieses an sturen Hunden nicht armen Landes: Peter Kubelka.

Kubelka würde man in Deutschland Experimentalfilmer nennen, in Österreich bevorzugt man dagegen den Begriff „Filmavantgarde“. Schon darin drückt sich eine Wertschätzung aus, die man in keinem anderen Land dem Kinoschaffen jenseits aller erzählerischen Konventionen entgegenbringt. Von einem Experiment könnte das Werk des 78-Jährigen tatsächlich kaum weiter entfernt sein, für Improvisation oder Zufall ist in seiner Kunst kein Platz.

Da sein Oeuvre äußerst schmal ist – acht vollendete Filme von insgesamt kaum mehr als einer Stunde Länge in 57 Jahren – und er schon vorher verkündet hatte, dass dies wahrscheinlich sein letztes filmisches Werk sein wird, war die Österreichpremiere von „Antiphon“ tatsächlich ein Ereignis, von dem die Zuschauer, wie Hurch es an dem Abend formulierte, „noch ihren Kindern erzählen werden“.

„Antiphon“ (von altgriechisch: entgegentönend, antwortend) ist das exakte Gegenteil von Kubelkas minimalistischstem Film, „Arnulf Rainer“. Das Werk aus dem Jahr 1960 besteht aus den vier Grundelementen des Kinos: Licht, Schatten, Ton, Stille. Das heißt, der Film setzt sich ausschließlich aus transparenten oder schwarzen Filmkadern zusammen, die entweder mit einer stummen Tonspur oder weißem Rauschen versehen sind. Die Reihenfolge bzw. Mischung dieser Elemente ergibt sich aus Berechnungen der möglichen Kombinationen auf der Basis unterschiedlich langer Filmstreifen. „Antiphon“ repliziert exakt die Struktur von „Arnulf Rainer“, nur dass jedes transparente Kader durch ein schwarzes ersetzt wurde und umgekehrt und ebenso jeder stumme Ton durch weißes Rauschen und umgekehrt. In Wien ließ Kubelka zunächst „Arnulf Rainer“ projizieren, dann „Antiphon“, dann beide synchron nebeneinander und zum Abschluss beide synchron übereinander. Zusammen ergaben diese vier Vorführungen das „Monument Film“.

Die konkrete Seherfahrung entspricht dabei nicht eins zu eins dem klaren Konzept – die Projektionsmaschinerie des Kinos und die Trägheit unseres Auges „verunreinigen“ das Erlebnis. Bei der Projektion beider Filme übereinander müsste beispielsweise ein konstant weißes Bild zu sehen und ein durchgehendes weißes Rauschen zu hören sein, doch man kann immer noch den Rhythmus des Films klar „fühlen“, sowohl auf der Bild- als auch auf der Tonebene.

Kosmologie des Kinos

Um diese spezifischen „Fehler“ des Prozesses geht es Kubelka gerade. Sein Werk kreiste schon immer um die spezifischen Möglichkeiten – und Beschränkungen – des analogen Films, der Bewegung vorgaukelt, in Wahrheit aber aus statischen Einzelbildern besteht. Eine ganze Kosmologie hat er um das Kino herum aufgebaut, in der die Projektorlampe zur „domestizierten Sonne“ wird, der Wechsel von Tag und Nacht seine Entsprechung im Rhythmus von offener und geschlossener Umlaufblende findet – und der Filmkünstler dem Schöpfergott entspricht.

Auch wenn „Arnulf Rainer“ und „Antiphon“ wie die filmische Umsetzung eines digitalen Codes aus Nullen und Einsen erscheinen mögen, sie könnten von einer digitalen Ästhetik nicht weiter entfernt sein. Daher weigert sich Kubelka auch, seine Filme etwa über DVD-Veröffentlichungen zugänglich zu machen. Im digitalen Format machen sie schlichtweg keinen Sinn mehr, da sie nicht mehr von den Bedingungen der Möglichkeit ihrer Existenz erzählen können. Dabei ist ihm bewusst, dass sein Werk mit dem durch kommerzielle Interessen forcierten Ende der analogen Technik vom Verschwinden bedroht ist. Seine Replik: Wenn der analoge Film verschwindet, dann soll auch sein Werk untergehen.