Manche haben Tüten mit Chips dabei

DOKU „Cäsar muss sterben“ erzählt, wie Inhaftierte eines Hochsicherheitsknasts bei Rom Shakespeares „Julius Cäsar“ aufführen. Am Montag wurde der Film in der Lichtenberger Justizvollzugsanstalt für Frauen gezeigt

„Seitdem ich weiß, was Kunst ist, ist diese Zelle ein Gefängnis geworden“, sagt einer der Gefangenen

VON DETLEF KUHLBRODT

Der Termin ist etwas seltsam: In der Lichtenberger Justizvollzugsanstalt für Frauen soll „Cäsar muss sterben“ von Paolo und Vittorio Taviani gezeigt werden. Der halbdokumentarische Film der berühmten Regisseure („Padre Padrone“) erzählt davon, wie Inhaftierte des Hochsicherheitsgefängnisses Rebibbia in Rom das Shakespeare-Stück „Julius Cäsar“ proben und aufführen, wie sie in dem Stück des großen, 1616 verstorbenen Dramatikers Parallelen zu ihrem eigenen Leben entdecken. Bei der diesjährigen Berlinale gewann „Cäsar muss sterben“ den Goldenen Bären.

Es ist Viertel nach vier. Wir stehen vor den Toren der Lichtenberger JVA für Frauen in der Alfredstraße. Hier befinden sich die Aufnahmeabteilung, die Abteilung für den geschlossenen Jugendstrafvollzug und die „Abteilung für erwachsene Straferinnen mit einer Drogenproblematik“, wie es in der Broschüre der JVA heißt. Das Wort „Straferin“ lese ich zum ersten Mal.

Elisabeth Hoffmann vom Verein „Minor – Projektkontor für Bildung und Forschung e. V.“ berichtet vom Projekt „Gefängnis Kunst Gesellschaft“, das ihr Verein noch bis zum September nächsten Jahres veranstaltet. Im Rahmen dieses Projekts arbeiten Künstler unterschiedlicher Sparten mit Gefangenen, Insassen des offenen Vollzugs („gelockerte Gefangene“) und Haftentlassenen.

Allmählich trudeln die Kollegen der anderen Medien ein. Ich bin ein bisschen nervös, weil ich noch nie im Gefängnis war. Nur als Jugendlicher wurde ich mal zu gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Am Eingang müssen wir Fotoapparate und Mobiltelefone abgeben. Weil Kollegen von der Springer-Presse unter Missachtung der Sorgfaltspflicht Gefangenenfotos veröffentlicht hatten, darf hier nicht fotografiert werden. Der Kollege vom Deutschlandradio ist erleichtert, dass er Tonaufnahmen machen darf.

Durch mehrere Türen betritt man die Anstalt und landet im Veranstaltungsraum. Eigentlich ist es ganz gemütlich. In den Regalen an den Wänden sind die Bücher der „Vertrauensbücherei“, die aus gespendeten Büchern besteht. Darin gibt es 18-mal „Der Name der Rose“. Allmählich trudeln die Gefangenen ein. Von den 76 hier Inhaftierten sind 25 gekommen; junge Frauen, die wegen BTM-Vergehen einsitzen. Manche haben Tüten mit Chips mitgebracht. Eine hat noch Tischtennisschläger dabei. Während Elisabeth Hoffmann einleitende Worte spricht, kichern einige. Alles erinnert ein wenig an eine Filmvorführung in der Schule. Innerlich sympathisiert man mit denen, die manchmal leise während der Aufführung tuscheln, steht faktisch auf der Seite der Lehrer und fühlt sich insgesamt etwas komisch in seiner Rolle.

„Cäsar muss sterben“ ist ein schöner Film. Allerdings auch ein wenig zwiespältig, gerade weil die zwölf schauspielernden Gefangenen in dem Film so überzeugend und toll agieren, weil das Licht in den Zellen so stimmungsvoll aussieht, als sei es ein reiner Spielfilm. Die Strafen und Vergehen der Gefangenen, die anfangs eingeblendet werden, werden von den Zuschauerinnen kommentiert; dass also jemand wegen Drogenhandel zu 17 Jahren verurteilt ist. Man selbst stutzt auch und findet die Angabe etwas unpräzise. Wie die umjubelte Aufführung von „Julius Cäsar“, die er zeigt, lebt auch der Film davon, dass die Gefangenen sich in dem 450 Jahre alten Text wiederfinden. Dass die Kunst ihnen hilft, sich selbst zu verstehen: „Seitdem ich weiß, was Kunst ist, ist diese Zelle ein Gefängnis geworden“, sagt einer der Gefangenen am Ende. Am besten gefällt mir aber eigentlich eine längere Szene am Anfang des Films, in der gezeigt wird, wie die Gefangenen für das Stück „Julius Cäsar“ gecastet werden.

Den gefangenen Frauen hat der Film gut gefallen. Wie es den gefangenen Männern gelingt, „so eine Rolle in ihr Leben reinzulassen“, die Leistung auch, das auf die Beine zu stellen. „Cäsar muss sterben“ sei „dreimillionenmal besser als der andere Film“, sagt eine Inhaftierte. Der andere Film hieß „Dornenkronen“, wurde von Jarek Raczek mit Berliner Gefangenen auch aus der JVA Lichtenberg gedreht und im September dieses Jahres im Babylon gezeigt.

Nach einem kurzen Gespräch führt uns Matthias Blümel, „der Leiter dieser netten Einrichtung“, noch durchs Gefängnis. Die gemeinschaftlich genutzten Bereiche unterscheiden sich nicht groß von denen in Heimen oder psychiatrischen Einrichtungen. Die Zellen erinnern eher an kleine Hotelzimmer. Seit den Rauchverboten würde der Gemeinschaftsraum allerdings nicht mehr so oft genutzt und die Gefangenen rauchten allein in ihren Zellen. Die einsitzenden Frauen seien meist Opfer gewesen, bevor sie zu Tätern wurden. Manche hätten auch Straftaten begangen, um hier wieder reinzukommen. Matthias Blümel macht einen ausgesprochen menschenfreundlichen Eindruck.