Schöne neue Weltkunst

KUNST UND GLOBALISIERUNG „Nothing to declare? Weltkarten der Kunst nach ’89“ propagiert den Abschied von der Westmoderne – in etwas spröder Form

Die Furcht vor der kulturellen Homogenisierung, die den Prozess der Globalisierung begleitet, ist unbegründet

VON INGO AREND

In einem Bambushain sitzt eine Gruppe von Dorfbewohnern und betrachtet Edouard Manets Gemälde „Frühstück im Grünen“. Das Werk aus dem Jahr 1863 hängt als Kopie vor ihnen an den Baumstämmen. „Was ist das für eine Frucht?“, fragt einer neugierig und deutet auf den umgestürzten Korb in der linken unteren Bildecke. Ein anderer bemerkt angesichts der nackten Frau im Gras: „Ich hätte nicht gewusst, wo ich hätte hinschauen sollen.“ Ratlos starrt die Gruppe auf das weltberühmte Werk.

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, das Ideologische der Formel von der „Weltkunst“ zu demonstrieren, das Video „The Two Planets Series“ von Araya Rasdjarmrearnsook aus dem Jahr 2008 hätte ihn erbracht. Denn die Inkunabeln der Westmoderne sind, das lehrt die Arbeit des 1957 in Thailand geborenen Künstlers, außerhalb des Westens kaum lesbar. Global gesehen meinte, wer bis vor kurzem Weltkunst sagte, immer eine überschaubare Anzahl ikonischer Werke, die von einer überschaubaren Gruppe urbaner Kosmopoliten rund um den Atlantik bewundert wurde.

Abschied von der einen, der Westmoderne – Aufstieg der „vielfältigen Modernen“. Ganz neu ist die Behauptung nicht, die die Ausstellung „Nothing to declare? Weltkarten der Kunst nach ’89“ aufstellt. Schließlich hatte schon Okwui Enwezor mit seiner Documenta 11 im Jahr 2002 dem transatlantischen Kunstestablishment die definitive, postkoloniale Ernüchterungskur verordnet.

Doch spätestens als 1989 die Mauer fiel und damit eine „Interaktionsbarriere“, wie es Globalisierungsforscher nennen, ist die Bewegung hin zu einer Weltkultur irreversibel. Die schon begann, als die Portugiesen im 15. Jahrhundert den Seeweg nach Indien entdeckten. Die „Biennalisierung der Welt“, über die heute allenthalben gespottet wird, ist nur der kulturelle Ausdruck der Tatsache, dass der bislang als Peripherie abgetane Teil der Welt seine Chance auf ästhetische Sichtbarkeit nutzt.

Prophet dieser Zeitenwende ist Hans Belting. Der 1935 geborene Kunsthistoriker provoziert gern seine Zunft: 1995 propagierte er das „Ende der Kunstgeschichte“. 2008 verlegte er den Ursprung der Zentralperspektive nach Bagdad. Die volle Wucht seiner neuesten Botschaft trifft die Besucher in den etwas engen Räumen der Akademie der Künste allerdings etwas gebremst. Besonders sinnlich wird sie in der Ausstellung, die Belting zusammen mit Andrea Buddensieg nach ihrem Auftakt 2011 am Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) nun auch in Berlin ausgebreitet hat, nämlich nicht erfahrbar.

Das Rationale ist gewollt. Die Schau soll die Ergebnisse des Forschungsprojektes „GAM – Global Art and the Museum“ transportieren. Auf Tabellen an der Wand lässt sich rot auf weiß nachlesen, dass sich die Umsätze des globalen Kunstmarktes seit 1991 verdoppelt haben. Vor allem wegen China. Der Kunstmarkt dort hat den amerikanischen inzwischen auf Platz zwei verwiesen. Und macht jetzt allein ein Drittel des Weltkunstmarktes aus.

Derart dokumentarisch aufbereitet, gewinnt Beltings elektrisierende These freilich den Charme einer Registrierkassen-Ästhetik. Das gilt vor allem für die eigens für die Ausstellung kreierte Video-Installation „trans_actions: The accelerated Art World 1989-2011“. Stewart Smith, Robert Gerard Pietrusko und Bernd Lintermann haben Zahlen und Fakten darüber, wie sich die Biennalen und Auktionshäuser über den Globus verbreiten, etwas einfallslos auf die Innenwände eines Panoramas projiziert und mit elektronischer Musik unterlegt.

Zum Glück haben es nicht nur die Tabellen, sondern auch 15 der 100 in Karlsruhe gezeigten Positionen nach Berlin geschafft. Sie zeigen, dass die Furcht vor der kulturellen Homogenisierung, die den Prozess der Globalisierung begleitet, unbegründet ist. Zwar nutzen die meisten Künstler „westliche“ Techniken wie Video oder Fotografie. Fragen der Repräsentationsgerechtigkeit lassen sich damit dennoch stellen. Wie man an Pieter Hugos Fotoserie „Nollywood“ sehen kann. In der der südafrikanische Fotograf ironisch Stereotype über Afrika hinterfragt.

Und das Exklusive der Westmoderne verliert sich. Wie man an Nusra Latif Qureshi Digitaldruck-Serie „Did you come here to find history?“ sehen kann. Die pakistanische Künstlerin, die 2001 nach Australien emigrierte, hat darin Porträts der Moghul-Zeit in Indien mit solchen aus Venedig und ihrem eigenen überblendet. Ihre ebenso subtile wie luzide Botschaft, dass die kulturellen Identitäten in der einen (Kunst-)Welt von morgen sich überlappen, dürfte überall auf der Welt verstanden werden.

■ Bis zum 24. März, Akademie der Künste, Berlin, Katalog (ZKM/MIT-Press) 39,90 EUR