Parzival ist überall

KOOPERATION Die Bremer Shakespeare Company hebt die Zusammenarbeit mit der benachbarten Schule am Leibnizplatz auf ein neues Plateau. Am Mittwoch gab’s mit „Parzival“ die erste gemeinsame Premiere

Gralsritter sein, das ist schon eine reichlich elitäre Veranstaltung, diese Inszenierung destilliert daraus eine allgemeingültigere Essenz

VON ANDREAS SCHNELL

Die Älteren entsinnen sich vielleicht: In den Achtzigerjahren drohte mehreren Bremer Schulen die Schließung oder Verlegung, darunter das Gymnasium an der Parsevalstraße. Unter der Schülerinnen und Schülern regte sich Protest, eine Zeit lang war die Schule besetzt, andere folgten diesem Beispiel – „Parseval ist überall“, lautete seinerzeit ein prägnanter Slogan. Genutzt hat es dem Gymnasium an der Parsevalstraße wenig, es wurde 1987 trotz aller Proteste aufgelöst.

Die Ziele waren natürlich vom Hehrsten, der Kampf von hohen Idealen geprägt. Und doch ist es wohl nicht falsch zu sagen, dass es jenem Widerstand eben auch immer und nicht nur ein bisschen um eine individuelle Auseinandersetzung mit „denen da oben“ ging, die offiziellen Ziele vorgeschoben, die konstruktive Beflissenheit eher Behauptung. Es war mehr eine Art bürgerlicher Bildungsroman als ein Kampf um die Sache, die Beteiligten gingen, soweit bekannt, hernach nicht in den bewaffneten Untergrund, sondern machten lieber Karriere.

Die Parsevalstraße ist natürlich nicht nach dem Helden des Romans „Parzival“ von Wolfram von Eschenbach benannt, sondern nach einem deutschen Ingenieur. Aber ein bisschen stimmt der Slogan doch. Wie die Inszenierung des Stoffs von Jonathan Prösler zeigt, die am Mittwoch im Theater am Leibnizplatz Premiere hatte.

Die Geschichte des Parzival und dessen Suche nach dem heiligen Gral nimmt Prösler erfreulich salopp als Grundmetapher für eine schillernde Erzählung von dem, was wohl den meisten in unserer Gesellschaft widerfährt: Ohne einen Begriff von irgendetwas zu haben, werden wir in eine Gesellschaft hineingeboren, die wirklich so einiges an Unannehmlichkeiten und zumindest auf den ersten Blick bizarren Regeln bereithält. Und irgendein Päckchen bekommen die meisten auch gleich mit auf den Lebensweg, ohne dass sie irgendetwas dafür könnten – wie unser Held Parzival, der seinen Vater schon vor der Geburt verliert und nun mit der gluckenhaften Mutter Herzeloyde zurechtkommen muss.

Genau diesen Stoff für die erste Materialisierung der Kooperation zwischen der Bremer Shakespeare Company und der Oberschule am Leibnizplatz mit ihrem Theaterschwerpunkt zu wählen, war eine Idee von Michael Meyer, Mitglied im Ensemble der Shakespeare Company – und zwar eine geniale Idee: Schließlich stehen hier neben Meyer, Tim D. Lee, Erik Rossbander und Svea Meiken Petersen von der Company junge Menschen auf der Bühne, die gewiss genau jetzt selbst den einen oder anderen Strauß mit der Welt um sie herum zu fechten haben. Und nicht ganz unwahrscheinlich ist, dass auch die Auseinandersetzung mit der mittelalterlichen Rittermär Elemente eines Kampfes hatte. Den die Schülerinnen und Schüler aus Theater-AG und Stockkampf-AG allerdings souverän für sich entschieden.

Das minimalistische Bühnenbild von Leonie Kramp und Heike Neugebauer erinnert nicht von ungefähr ein wenig an fernöstliche Motivik, die in Kostümen und Stockkampf-Choreografien ihre Fortsetzung findet. Anderswo haben sie erstens auch Ritter gehabt, und zweitens – Pop! – ist unserer Jugend vielleicht „Kung-Fu Fighting“ geläufiger als die Tafelrunde von König Artus.

Die es aber trotzdem zu sehen gibt, in diesen überaus kurzweiligen knappen zwei Stunden. In denen wird von der Kleinstfamilie aus alleinerziehender Mutter und Kind über die tägliche Selbstoptimierung vor dem Spiegel (Soundtrack: „Bück dich hoch“ von Deichkind) und das nicht immer einfache Buhlen um Anerkennung bis hin zur Dekonstruktion hoch fliegender Lebensentwürfe ein rasanter und sehr amüsanter Rundumschlag unternommen, der – zum Glück – keinen klassischen Helden gebiert, sondern das erfreulich zurückgenommene Plädoyer aus dem Dschungelbuch: „Versuch’s mal mit Gemütlichkeit!“

Denn: Gralsritter sein, das ist schon eine reichlich elitäre Veranstaltung, diese Inszenierung destilliert aus Eschenbachs „Parzival“ als allgemeingültige Essenz lieber: Jeder und jede ist mal Parzival, manchmal sogar fast alle zur gleichen Zeit, ob jung oder alt, Bube oder Dame. Dem König geht’s dafür reichlich schlecht. Weshalb Parzival auf eine Weise eben auch überall ist, ein bisschen jedenfalls in allen von uns.

Ende Juni gibt es übrigens Nachschlag, diesmal stößt noch das Tanzwerk dazu, und „Parzival tanzt“. Ein gelungener Einstand jedenfalls für diese neue Stufe der nicht nur geografisch naheliegenden Kooperation.

Nach der Premiere wurde dann übrigens noch die frohe Botschaft verkündet: Die Oberschule am Leibnizplatz wird im Schuljahr 2015/15 als erste Schule Deutschlands einen Leistungskurs „Darstellendes Spiel“ einrichten. Man darf gespannt sein.

■ „Parzival“: Montag, 19 Uhr & Dienstag, 11 Uhr; „Parzival tanzt“: Dienstag, 25. 6., 12 & 19.30 Uhr, Theater am Leibnizplatz