Das Idol von allen, die nie hip waren

POP Nase und Silberblick prädestinierten sie nicht zum Star. Samstagabend ist Barbra Streisand in der Stadt und singt für uns

VON JAN FEDDERSEN

Immer diese blöden Fragen, wenn das Thema auf sie kommt, auf die letzte Repräsentantin des ganz großen Entertainments: Warum findet ihr Schwulen eigentlich Barbra Streisand so gut? Eine um Entschuldigung bittende Antwort würde lauten, na, die Streisand, die sei doch als hässliches Entlein zur Welt gekommen, ihres Silberblicks wegen und weil sie wirklich nix hatte, was Glamourdamen von heute so vorzeigen können, Oberweite etwa. Eine bessere Antwort muss natürlich so gehen: Die Streisand? Hat einfach immer die beste Musik draufgehabt, konnte aus schlechten Filmen edle machen und ist einfach eine „jewish princess“, die im Übrigen auch nie vor Uncoolem zurückschreckte. Als sie etwa öffentlich, im Kreise von tausenden von Freunden, Zuschauern, im Konzertsaal mit Golda Meir telefonierte – ja, da sprach dann die scheue Tochter, die der Mutter anerbot, ihr davon zu erzählen, dass sie erfolgreich wurde.

Eigentlich lässt sich über Barbra Streisand nicht vernünftig sprechen. Nicht sachlich. Nicht journalistisch. Nicht hochnäselnd aus der klugscheißernden Distanz. Nein, am Sonnabend gibt sie eine Party in der O2-Arena, die manche als Konzert nehmen werden, die aber viel wahrscheinlicher ein Hochamt sein wird. Barbra Streisand, die „Woman in Love“, die Mutter des schwulen Sohnes Jason, die Gattin von James Brolin, die Hundeliebhaberin (wie Doris Day, noch so eine absolut adorable jüdische Überfigur, in den Fünfzigern Feministin avant la lettre), Sängerin, Regisseurin, fanatische Demokratin und Freundin der Clintons: Diese einst keineswegs hübsche Tochter aus halbärmlichen Verhältnissen in Brooklyn, New York City, ist das Idol von allen, die nie hip waren, cool oder wussten, wo der Hase läuft. Nein, die Hippen, das sind Leute, die auf Moden halten und morgens als erste Bewegung zum Tage den feuchten Finger aus der Bettdecke halten, um zu erfahren, woher der Wind weht.

Die Streisand konnte das nicht, ihr Talent lag und liegt immer im Ehrgeiz, eine Große zu werden, offiziellen Schönheitsinteressen zu trotzen, der Nase wegen und des Schielens. Sie wollte selbst der Wind sein. Und sie wollte alle ausstechen, höher hinaus als andere. Klopfte an Broadwaytüren, bis diese in Trümmern lagen. Aus dieser Haltung heraus erwuchs ihr Image, eine Nervensäge, eine Unruhestifterin zu sein, eine Perfektionistin, eine Manische – und für Jason insofern eine Mutter, was jeden Gedanken nahelegt, dass dieser gewiss früh eine psychoanalytische Hilfe brauchte, um ihren Ansprüchen nicht mehr genügen zu müssen. Den Schmus hat, hörte man, jetzt Gatte Brolin am Hals, der, so überlieferte es Gossip, mit ihr eine Paartherapie beantragte, weil sie als Gattin immer so perfektions- und kontrollsüchtig sei.

Ja, das lief auf eine Kritik hinaus – aber wir als Publikum hörten immer gern, dass die Streisand nicht nur keine hippe Avantgardistin war, sondern brav alle Moden der Massen mitmachte: Sushi, Caffe latte, laktosefreie Milch, nur weißes Fleisch und nur leichten Wein, das Mineralwasser natürlich mild, die Textilien ökologisch gewebt.

Dabei war sie selbst nie Mode. Niemals, keine einzige Sekunde: Denn keine wollte sein wie sie. Das erhob sie noch mehr, das war ein frühes Zeichen ihrer göttlichen Irdischkeit: Was der wichtigste Unterschied zu allen ist, die da Spears, Kardashian oder sonst wie jugendverhaftet scheinen. Die Streisand – die war nicht trendy, auch nicht in den Siebzigern, als sie den Liederkanon der aufgewühlten Jugend sang. Ob „Life on Mars“, „Imagine“, „Mother“ oder „You’ve Got a Friend“: Ihre Versionen klangen besser als die von Bowie, Lennon oder Carole King. Und war es nicht Streisand, die zusammen mit Donna Summer im Duett „Enough Is Enough“ sang und im Jahr 1979 Disco endgültig massentauglich machte? Sie stellte sich allen Jüngeren zum Duett – Kim Carnes, Céline Dion und eben auch der Summer – und hinterließ am Ende immer den Eindruck: Singt mal weiter, Mädels, aber ich muss jetzt weiter.

Das Hochamt findet nicht wie vor sechs Jahren in der Waldbühne statt – sie sah hinreißend schön aus, wie eine erfrischte Mittdreißigerin –, sondern in der Arena irgendwo im Nirwana zwischen Warschauer Brücke und Berghain. Die Tickets sind teuer. Es wird sich lohnen. Fast einerlei, was sie uns zeigt. Hauptsache, wir dürfen sie wiedersehen.