Die Welt vor Gericht

PREMIERE Antú Romero Nunes bringt im Thalia einen Roman-Klassiker auf die Bühne: An Hermann Melvilles Kapitän-gegen-Walfisch-Epos „Moby Dick“, sagt der Regie-Star, begeistere ihn insbesondere Humor

Jetzt also „Moby Dick“, von 1851, einer der bedeutendsten Romane der Weltliteratur – und einer der am wenigsten gelesenen

VON JENS FISCHER

„Manchmal wundert man sich über den lustigen Austausch bei den Proben, manchmal ist man total geplättet von der Schwere der Themen“, sagt Antú Romero Nunes. „Man staunt, wie beides diesem hoch schwulen Roman entspricht, der ja immer runtergemacht wird, Effekthascherei heißt der Vorwurf. Das Tolle bei Herman Melville aber ist, er spielt völlig sinnig mit den unterschiedlichen Genres.“

Nunes, Jahrgang 1983, hat gerade für das Thalia Theater einen „Moby Dick“ erarbeitet. Immer wieder lobt er im Gespräch die Vorlage: „Mit welch wunderbar eigensinnigem Humor dort beispielsweise beschrieben wird, dass es in unserem Denken wie in unserem Rechtssystem nur um Besitz geht, dass die Gedanken eines anderen Freiwild sind und wir immer berechnend mit jemandem sprechen.“

Schmerzhafte Einsichten komisch zu verkleiden, ist das nicht genau Nunes’ Handschrift? Der Stil eines Regisseurs, der sagt, es sei „falsch, nur weil die Leute Ernsthaftigkeit verlangen, auf den Humor zu verzichten“?

„Ich versuche jedes Mal was Neues zu machen – und zwar den uns interessierenden Ansatz eines Stückes spielerisch in eine ideal dazu passende Form zu verwandeln.“ Beispielhaft ist dafür auch seine erste große Thalia-Arbeit: Für Tankred Dorsts „Merlin“ machte Nunes den Titelhelden – zum Regisseur.

In seinen Regiearbeiten herrscht meist der charmante Eindruck vor, die fidele Probensituation vorgespielt zu bekommen: locker, leicht, improvisiert. „Zuschauer sagen häufig: Ey, die Schauspieler sind so frei, das ist toll. Kollegen sagen manchmal: Ey, da fehlt ja komplett die Spielspannung“, erzählt Nunes. „Es geht um die Wachheit des Schauspielers, er muss spielerisch sein Thema bearbeiten, um es an den Zuschauer zu bringen, und gleichzeitig auf der Suche bleiben.“

Nie also lässt er die Darsteller so tun, als wären sie tatsächlich Franz Moor oder Peer Gynt. Sie stellen die Auseinandersetzung mit der Figur aus und thematisieren dabei die Möglichkeiten der Bühnenkunst: nicht selbstverliebt, sondern selbstreflektiert.

Dass der Nachwuchsstar des Berliner Maxim-Gorki-Theaters so schnell Top-Produktionen verantwortete, an großen Bühnen in Wien, München, Hamburg oder Zürich, verdankt sich Nunes’ Fähigkeit, Inhalte nicht nur in Dialogen zu vermitteln, sondern sinnlich ans Publikum zu vermitteln – als Erlebnis. Die Angst, etwas im Leben zu verpassen, vermittelte er etwa in seinem Thalia-„Don Giovanni“ so: In der Aufführungspause bleiben die Männer im Zuschauerbereich, während eine Mozart-Gothic-Band die Frauen auf die Bühne zur Party bittet, wo sie kostenlos mit Sekt verköstigt werden und abtanzen dürfen, bewacht von Bühnen-Security. Allein gelassene Mannsbilder hängen traurig am Pausengetränk, irren ratlos durchs Foyer: Warum haben die Frauen Spaß – und ich nicht?

Immer wieder bekommt Nunes, der Sohn einer Chilenin und eines Portugiesen, Stücke zum Thema Integration, multikulturelle Gesellschaft und so weiter angeboten – die er stets ablehnt. „Ich interessiere mich nicht für Milieustudien“, sagt er. Und Hartz IV: kein wichtiges Sujet? „Nein. Im Theater sitzen doch nur Spießbürger und ein paar Studenten, da müssen wir uns doch nicht gegenseitig zeigen, wie toll wir über arme Leute denken.“

Jetzt also „Moby Dick“, 1851 veröffentlicht, einer der bedeutendsten, populärsten Romane der Weltliteratur – und einer der am wenigsten gelesenen. Regelmäßig werden Herman Melvilles 700 Seiten zur Jugendbuch-Abenteuergeschichte skelettiert oder für Fernsehen und Kinoleinwand adaptiert wahrgenommen: Schalten Sie auch morgen wieder ein, wenn Kapitän Ahab seinen Hass-Feldzug gegen den weißen Monster-Wal fortsetzt! Gerne interpretiert als Kampf des modernen Menschen gegen das Naturchaos um sich herum, aber vielleicht mehr noch in sich drin. Kaum im Fokus steht dagegen, mit welcher Sprachgewalt der Autor arbeitet, welche scharfzüngig-essayistischen Ausflüge in naturwissenschaftliche wie philosophische Richtungen er gestaltet.

Aber wie lässt sich dieses Melville’sche Textkonvolut nun zu Theater verdichten? Nunes möchte die Atmosphäre von Weite, Gefahr, Ausgesetztsein für einen existenziellen Diskurs nutzen. „Wir wollen aus der Perspektive der Ausgestoßenen erzählen, der Schiffsmannschaft“, erläutert er etwas vage. „Sie will die Welt vors Gericht zerren. Die Gruppendynamik an Bord bringt jeden immer wieder zur Erkenntnis: Ich werde verarscht auf der Welt, alles ist nur angemalt, dahinter ist alles blank, weiß, das Nichts, aber wenn ich die Welt demaskieren will, steht die Wahrscheinlichkeit nur 1:1.000.000, dass ich das schaffe. Das ist Wahnsinn.“

Und genau da, ergänzt Nunes, „fängt das Stück an, mir weh zu tun. Also setzen wir dort an.“ Mit welcher Erwartungshaltung wird man Nunes’ Inszenierungen voraussichtlich beglückt verlassen können? „Man soll sich überraschen lassen wollen.“ Denn wenn man schon weiß, wie der Abend aussehen soll, und er sieht dann auch so aus, warum soll ich dann noch hingehen?

■ Premiere: Fr, 6. 9., 20 Uhr, Thalia Theater. Nächste Vorstellungen: So, 8. 9., 19 Uhr; 18. und 28. 9., je 20 Uhr