ZWISCHEN DEN RILLEN
: Frösche und futuristisches Klangzeug

AGF: „Kuuntele“ (AGF Producktion/Morr Music/Indigo) www.poetproducer.com

In der elektronischen Musik von Antye Greie-Fuchs geht es darum, welcher Ton in welcher Charakteristik und Färbung wo im Raum erklingt

Hinter dem Namen AGF verbirgt sich die 1969 in Ostberlin geborene und vor einigen Jahren nach Finnland ausgewanderte Musikerin Antye Greie-Fuchs-Ripatti. Um sich ihr anzunähern, könnte man ihre Zusammenarbeit mit Gudrun Gut oder ihr Zusammenleben mit dem finnischen Produzenten Vadislav Delay erwähnen – doch umreißt das lediglich die Qualität ihrer musikalisch-menschlichen Einbettung.

Möchte man zu ihrem Kern vordringen, so empfiehlt sich eine virtuelle Entdeckungsreise. Denn Greie-Fuchs-Ripattis Arbeit ist ein Geflecht aus Poesie und elektronischer Musik. Zu hören gibt es sie nicht nur auf Alben und Konzerten, sie ist auch frei verfügbar im Netz. Darunter „99 Hidden Poems Of A Female Stranger In 21st Century Japan“ (2005), eine Dokumentation von Gedichten, entstanden auf einer Tour durch Fernost, übersetzt, künstlerisch und fotografisch festgehalten und aufbereitet als Blog.

Bilder und Videos, wie das der Performance „Simultangedichte“ von Kurt Schwitters, die bei minus 15 Grad im gefrorenen Botten Havet stattgefunden hat, und nicht zu vergessen, der AGF-eigene Vimeo-Kanal. Ihre Verbindung aus Dichtkunst, elektronischer Musik und deren Zurschaustellung im Netz erbrachte Greie-Fuchs einen Award der Ars Electronica (2004) für das elektronische Poesieprojekt „Poemproducer“, dem das letzte Album „Gedichterbe“ entsprungen ist.

Bei so viel Interdisziplinarität kann einen schon mal die Angst beschleichen, dass die Musik von AGF eine sperrige, kantige Angelegenheit sein muss. Kryptisch. Schwierig. Vielleicht sogar Kunsthandwerk?

Auf ihrem neuen Album „Kuuntele“ – zu Deutsch: „Zuhören“ – konvertiert AGF finnische Gedichte in elektronische Musik, mit musikalischer Unterstützung der Landsleute Lau Nau, Lady Islaja, Matti P und Juha Rautio. Klar ist das kein Durchschnitts-Elektro, doch zartes Synthie-Klingklong und tighte Dubstep-Elemente lässt AGF detailverliebt anklingen und serviert ein spannend anzuhörendes Album. Oder ist es ein Hörbuch?

Mit dem Auftakt „A Stranger To Start A Tale“, der eine Textvorlage aus dem Jahr 1849 adaptiert, räumt AGF alle Befürchtungen aus dem Weg, dass die Beschäftigung mit Gedichtkunst unweigerlich in etwas Staubigem münden muss. Sagen wir also Soundpoeme dazu: Zunächst flattern kühle Klangsplitter herein, dann entwickeln mehrere Schichten von Gesang und Delay einen wohligen Hallraum, der durch einen reduzierten Beat und für Dubstep sehr typische Stimmsamples komplettiert wird.

AGF singt hier selbst, in Englisch – und ihr eigenwilliger Akzent bettet sich perfekt in das beschriebene Klangszenario. Ähnlich, nur deutlich mehr ambient fühlt sich das sechste Stück an, „Diamantenstimmen“ nach „The Birds“ von Solveig von Schoultz (1963). Es folgt die erste Kollaboration mit Lau Nau, die Interpretation des Gedichts „Keinutan Kaikua“ von L. Onerva aus dem Jahr 1904. Synthetische Glöckchen eröffnen, dann setzt Lau Naus finnischer Sprechgesang ein – ruhig und entrückt, in jener typisch skandinavischen Phonetik – und der Gesang formiert sich mit vielen, kleinen Sounds wie Tröpfchen, Glöckchen oder Flirren und melodiösen Synths. Bezaubernd.

AGF ist Düsternis nie abgeneigt: „Joy Is Boring Too“ ist die Lesung der Zeilen von Tove Jansson aus den Sechzigern, begleitet von Grummeln, Noise, Sphären und Störgeräuschen. „For Toffle“ von gleichem Autor, in einer rein instrumentalen kühlen Interpretation. Ähnlich abstrakt ist „Sinisten Risti“ von Eino Leino (1903), monoton vorgetragen von Matti P zu Sinuskurven und anderem futuristischen Klangzeug.

Düsteres Wummern auch in „Kiitos“ von Eeva Kilpi, in Zusammenarbeit mit Islaja. Mit Verlauf des Albums wächst die Anforderung an das Publikum – ja, es wird ein wenig sperrig, wenn die Stücke mehr Klangkunst als Song sind, mehr und mehr Einzeltöne im Fokus stehen. Doch lohnt es sich, dabeizubleiben, denn alle sind faszinierend anzuhören. Wie zum Finale das blumige, ein wenig märchenhafte „Counterpoint“ von Eeva-Liisa Manner (1956), das instrumentale Soundspektakel in „How To Address The Fog“ oder das wunderbare Knirschen in „Ratsumies & Surun Jumaluudet“, das an das Knirschen von Schritten im Schnee erinnert.

Und das ist es, worin es in der fortgeschrittenen Elektronik geht: Klangentwicklung. Welcher Ton in welcher Charakteristik und Färbung wo im Raum erklingt. Eine Wissenschaft für sich. Doch nachvollziehbar für die Hörer: Nämlich dann, wenn Töne nicht mehr nur hör-, sondern fühlbar werden. Wenn sie nicht mehr einfach nur erklingen, sondern erzählen.

Genaues Hinhören kann große Freude bereiten: So ein Knuspern am Ohr, das macht Spaß! Womit wir dann wieder am Anfang wären: Kuuntele. Hinhören auf Finnisch.SONIA GÜTTLER