Das Schlafkleid

ZUGFAHRT Der „Spiegel“ reist mit Herrn Gurlitt

„Freiwillig gebe ich nichts zurück, nein, nein“

CORNELIUS GURLITT

Das Schlafkleid von Cornelius Gurlitt – was immer man sich darunter vorstellen soll, vielleicht ein Nachthemd? –, so schreibt der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe, habe noch nie jemand gesehen, bis zu jenem Tag, an dem die Zollfahndung in Gurlitts Wohnung eindrang. Ein bedeutsamer Tag, an dem die Beschaffenheit des Schlafkleides von Cornelius Gurlitt endlich bekannt wurde. Und dann natürlich noch die Beschaffenheit seiner Kunstsammlung. Zumindest ihre Existenz.

Ja, der Spiegel hat einen Scoop gelandet. Er hat sich an die Fersen des alten Herrn geheftet, von dem man bislang so gut wie nichts wusste, man denke nur an das Schlafkleid, und ist mit ihm im Mutter-Kind-Abteil des ICE zu seinem Hausarzt in der süddeutschen Provinz gereist. Liest man über den sperrigen Spiegel-Kitsch hinweg, bleibt ein schlanker Bericht von einem – über seine vermeintliche Pflicht, das väterliche Erbe zu bewahren – zum Sonderling gewordenen Mann, der sagt: „Freiwillig gebe ich nichts zurück, nein, nein.“

Cornelius Gurlitt wird nächsten Monat 81 Jahre alt, er ist herzkrank, und die Aufregung um den Sensationsfund seiner Sammlung bekommt ihm schlecht. Umso mehr, als er deren Grund nicht versteht. Er glaubt, dass sein Vater nur Bilder gekauft habe, die von deutschen Museen kamen oder von Händlern, nie von Privatpersonen. Aber „ich hatte nie etwas mit der Anschaffung der Bilder zu tun, nur mit der Rettung“ aus Dresden heraus, auf das Schloss Pölnitz in Aschbach in der Nähe von Bamberg. Die Bilder bestimmten sein Leben. Und jetzt, wo sie weg sind, leidet er. Die Staatsanwaltschaft Augsburg, die die Bilder beschlagnahmte, fürchtete offenbar, er könne Selbstmord begehen, und schickte ihm eine Frau vom psychologischen Beratungsdienst.

In der Haut der Staatsanwaltschaft möchte man nicht stecken. Nur gut für sie, dass Gurlitt wie von vielem anderen auch keine Ahnung davon hat, was ein gewiefter Rechtsanwalt schon alles für ihn hätte tun können. Regierungssprecher Steffen Seibert brachte die verfahrene Situation so auf den Punkt: „Wir müssen ein rechtsstaatliches Verfahren finden.“ Was die gebannte Öffentlichkeit an regierungsamtlichem Handeln beobachtet, ob bayerisch oder bundesrepublikanisch, fällt jedenfalls nicht darunter. Und dazu kommt: Alle waren sie, gleich nach der Beschlagnahmung, informiert. Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, die Generalstaatsanwaltschaft, das bayerische Finanzministerium, der Bundesbeauftragte für Kultur und Medien und das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen, also die Fachleute im Umgang etwa mit zu NS-Zeiten entzogenem Besitz. Und dann soll eine einzige Wissenschaftlerin die Sammlung aufarbeiten?! So viel Unverstand kann es nicht geben. Da sind noch eine Menge Erklärungen fällig. WBG