Kinofilm „Scherbenpark“: Lieber schwanger als Mathe lernen

Der Dokumentation „Prinzessinnenbad“ lässt Bettina Blümner mit „Scherbenpark“ einen Spielfilm folgen. Dieser nimmt einen leider nicht so richtig mit.

Sascha will ihren Stiefvater töten und ein Buch über ihre Mutter schreiben: „Scherbenpark“. Bild: dpa Thomas Kost/Neue Visionen

Sascha lebt in Stuttgart in einem Hochhausgetto, das von vielen Russlanddeutschen bewohnt wird. Sie ist 17 Jahre alt und hat zwei kleinere Halbgeschwister. Die Cousine ihres ebenfalls russlanddeutschen Stiefvaters Vadim kümmert sich um die drei, seitdem Vadim vor den Augen der Kinder die Mutter erschossen hat und im Knast sitzt. Sascha hat zwei Träume: Vadim töten und ein Buch über ihre Mutter schreiben.

Das erzählt sie gleich zu Beginn, während sie als Beschützerin der kleineren Geschwister mit den Händen in den Taschen ihrer Kapuzendaunenjacke durchs Viertel stapft und sich der aggressiven Anmache der an Tischtennisplatten lehnenden Jungmänner mit Sprüchen wie „Bei deinem miesen Sperma würden eh nur Missgeburten rauskommen!“ erwehrt.

Das Leben im Getto also ist kein Zuckerschlecken – wir ahnten es schon mit der allerersten Einstellung auf die triste Sozialbauarchitektur –, und Sascha begegnet ihrer Umgebung mit Härte und Schlagfertigkeit, während die gleichaltrigen Mädchen sich lieber schwängern lassen, um kein Mathe mehr büffeln zu müssen.

In Sachen unpeinlicher, sozialrealistisch überzeugender Filmarbeit hatte man von Regisseurin Bettina Blümner durchaus etwas erwartet. Mit ihrem Langfilmdebüt „Prinzessinnenbad“ hatte sie 2007 für eine Menge Begeisterung gesorgt. Die unaufdringliche, aber trotzdem präsente Art, wie die Kamera den drei jugendlichen Protagonistinnen durch ihr Leben in Berlin-Kreuzberg folgte, hatte eine Welthaltigkeit jenseits von Betroffenheitskitsch oder Genreschublade. Noch heute sind die Laternenmasten Kreuzbergs übersät mit Aufklebern, die liebevoll ein ikonisches Film-Zitat umdrehen: „Ich komm aus Muschi, du Kreuzberg“.

Taffe Protagonistin

Blümners Wahl, sich für ihren ersten Spielfilm Alina Bronskys Roman „Scherbenpark“ vorzunehmen – ein Buch, das als fein beobachtete Milieustudie gelobt und für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert war –, schien zunächst nicht unklug: Wieder eine taffe Protagonistin mit einer einnehmend direkten Sprache, ein Coming-of-Age-Plot, diesmal eben mit den Freiheiten des Fiktionalen, das dürfte doch eigentlich nicht schiefgehen.

Ist es aber. Von vorne bis hinten, in jeder Szene. Was im Buch eine gewisse trockene, ins Komische tendierende Drastik hatte, kommt im Film in einem fort unplausibel und überzogen daher. Schon die Tragik der Familiengeschichte wirkt bei Blümner so schablonenhaft, dass man sich sofort nach einer einfachen Reportage aus dem russlanddeutschen Milieu sehnt – ohne sofort gewalttätige Stiefväter, erschossene Mütter und übergriffige Jungmänner aufgefahren zu bekommen.

Nach der Exposition kommt ein Milieuwechsel, der im Film jeder Plausibilität entbehrt: Sascha läuft, nachdem sie in der Zeitung einen Artikel über ihren angeblich reuigen Stiefvater gelesen hat, erzürnt in die Redaktion, wo sie auch sofort einen Termin mit dem verantwortlichen Redakteur Volker (Ulrich Noethen, im echten Leben Partner von Romanautorin Bronsky) bekommt. Volker gibt sich beschämt – Sascha solle sich melden, wenn sie ihn mal braucht. Das tut sie nur einen Tag später aus unverständlichem Anlass. Die eloquente, aber natürlich traumatisierte Göre aus dem Getto bittet also den ihr unbekannten Redakteur aus dem Passivhaus um Unterschlupf für ein paar Tage und darf auch sofort einziehen. Ah ja.

Nichts involviert einen

Der Milchbubisohn des Redakteurs fühlt sich als Scheidungskind dann sofort zu dem Mädchen aus der „Problemfamilie“ hingezogen, was er mit Piepsestimme hanebüchen unumwunden zum Ausdruck bringt. Es kommt zur gegenseitigen Entjungferung, die vielleicht absichtlich, wahrscheinlich aber unabsichtlich zur Karikatur gerät. Man weiß es nicht. Danach noch ein, zwei milieubedingte Anziehungen und Abstoßungen, am Schluss Saschas Aufbruch ganz woanders hin, wie könnte es anders sein.

Wirklich nichts an dieser Geschichte involviert einen, keine Figur handelt oder spricht so, dass man denkt: Ja, so könnte es sein. Im Stuttgarter Getto redet noch nicht mal irgendwer Schwäbisch. Das Krönchen dieser ungelenken Romanverfilmung ist, dass man ständig an das so gelungene sozialrealistische Drama „Fish Tank“ der Engländerin Andrea Arnold denken muss, das 2009 den Preis der Jury in Cannes gewann.

„Scherbenpark“. Regie: Bettina Blümner. Mit Jasna Fritzi Bauer, Ulrich Noethen u. a. Deutschland 2012, 94 Min. Hier ist der Kinotrailer.

Jasna Fritzi Bauers Sascha scheint bis in die Mimik, den Gang und die Körperhaltung hinein eine Kopie zu sein von „Fish Tank“-Hauptfigur Mia, die Katie Jarvis so überzeugend spielte. Es ist eine bemühte Kopie, und man schämt sich beim Zugucken.

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