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: Nicht nur Blut und Spektakel

„New World“ (Südkorea 2013; Regie: Park Hoon-jung), ab circa 13 Euro im Handel

Nichts ist hier unter- oder womöglich überdosiert

„Das ist nun eine überraschende Wendung“, sagt eine der Hauptfiguren gegen Ende des Films. Es geht ihr dann an den Kragen. Der Mann hat recht, es kommt überraschend, die erste überraschende Wendung ist es jedoch ganz sicher nicht. Bis dahin sind viele gestorben: per Crash, per Betoneinguss und Versenkung im Meer, per Einsatz sehr scharfer Schneiden auf teils engstem Raum, so etwa bei einem Massaker im fahrenden Aufzug. An Morden mangelt es nicht, an Überraschungen auch nicht, wobei das Überraschendste ist: Ein Film, der bloß auf Blut und Spektakel setzt, ist „New World“ eben nicht.

„Goldmoon“ ist der Name der Firma, mit der diverse Clans der Mafia in Südkorea und China sich den Anschein der Legalität zu geben versuchen. Man erkennt die Mitarbeiter am kleinen gelben Button an ihrem Revers. Sie sehen aus wie Mitglieder einer Sekte, was sie aber nicht daran hindert, sich jeweils neu hinter dem gerade führenden Clanmitglied zu gruppieren. Bevor „Goldmoon“ sich konsolidiert und so dem Zugriff der Polizei womöglich entzieht, gilt es nämlich die noch existierenden Clan-Rivalitäten zu klären. Den Boss nimmt der Film gleich zu Beginn aus dem Spiel. Bleiben zwei Männer: der chinesischstämmige Jeong Cheong, der hinter seinem kindischen Auftreten mörderische Schlauheit verbirgt, und Lee Jung-gu, der sich in seiner Smartheit selbst überschätzt.

Es bleibt aber vor allem ein Polizist namens Kang, der vor Jahren schon einen Undercovermann in eine der Organisationen eingeschleust hat. Dieser, Ja-sung, ist inzwischen die rechte Hand des chinesischstämmigen Cheong. Er will eigentlich raus aus dem Job, gerät aber immer nur tiefer hinein. Wie Spielsteine auf dem Go-Brett verteilt Regisseur und Drehbuchautor Park Hoon-jung seine Figuren. Er zieht sie teuflisch geschickt, nimmt eine nach der anderen, teils für einige Züge, teils für immer aus dem blutigen Spiel. Was ein bisschen zerebral klingt, und an Spielintelligenz fehlt es dem ausgefeilten Buch sicher nicht.

Großartig an „New World“ ist aber, wie Park die Standardsituationen des Undercover-Mafiathrillers in aller Ruhe, mit Geduld und Mut zum überraschenden Zug immer wieder aufs Neue belebt. Alles ist Genreklischee. Mit geschickten Rhythmuswechseln und großer Raffinesse in der Offenbarung und Verdeckung von Motivationen wird daraus ein höchst spannender Film. Park war bislang als Drehbuchautor bekannt, und wirklich ist das Buch von „New World“ teuflisch gut. Es ist aber auch irre, wie dieser Regisseur seine Schauspieler führt. Nichts ist hier unter- oder überdosiert, weder das hinterhältige Brüten des Polizisten Kang noch die scheinbare Tumbheit von Jeong Cheong. Undercovermann Ja-sung ist die Undurchsichtigkeit selbst, die Schweißperlen in seinem Gesicht sind das einzige Zeichen von Expressivität.

Auch die Inszenierung ist oft sehr elegant, ohne die Neigung zur Aufschneiderei, die einem die Filme von Park Chan-wook („Oldboy“) verleiden kann. Vor spektakulären Schauplätzen, etwa einem Luxusapartment mit noch offener Seitenfassade (bestens geeignet fürs Golfspiel), schreckt „New World“ nicht zurück. Es geht eher darum, das rechte Maß an Übertreibung mit dem rechten Maß an Understatement so zu verbinden, dass jede Handlung nach Maßgabe der Figurenpsychologie glaubwürdig bleibt – und mit jeder Wendung im Rahmen des Genremöglichen doch überrascht. Am Ende sieht es aus wie eine straighte Geschichte. Wer ihr mit angehaltenem Atem gefolgt ist, weiß, dass sie alles, aber das ganz sicher nicht war. EKKEHARD KNÖRER