Tu, was du tun musst

SWINGENDE MELODIEN Melancholie und Lässigkeit vereinen Die Höchste Eisenbahn auf ihrem Debütalbum „Schau in den Lauf Hase“, einer der besten Platten in deutscher Sprache des Jahres

Sie sind angenehm undeutsch. Die Höchste Eisenbahn haben nichts Schweres oder Biederes im Gepäck, nicht die dicke, braune Soße auf den Kartoffeln

VON JENS UTHOFF

Es ist ein guter Moment für Flucht: Wir haben Ende Dezember; man weiß nicht so recht, was man von dieser toten Zeit halten soll. Draußen spielen die Kids Krieg, während es öde und regnerisch ist und der Boden im Park tief und matschig ist. Sieben Tage Wochenende. Menschen stehen mit hochgezogenen Schultern und rotem Kopf an der Haltestelle; sie alle dachten, dieses Jahr würde besser werden. Wurde es nicht. Frühling ist weit.

Sollte Ihnen also nach Flucht sein, wären Die Höchste Eisenbahn eine Lösung. Steigen Sie zu, drehen Sie die Musik laut. Die Lokführer sind der Regisseur und Songwriter Moritz Krämer, der bisher solo Musik machte, und Francesco Wilking, den man bereits von der Band Tele kannte. Beide gründeten 2011 Die Höchste Eisenbahn. Zweieinhalb Jahre später hat die Band ihr Debütalbum „Schau in den Lauf Hase“ veröffentlicht. Unterstützt werden Krämer und Wilking inzwischen von Multiinstrumentalist Felix Weigt und Max Schröder, der unter anderem bei Tomte am Schlagzeug sitzt.

Die rund eine Stunde dauernde Reise mit den vier Herren, alle so zwischen 30 und 40 Jahre alt, ist unterhaltsam bis durchgeknallt, anarchisch bis angepisst, dann aber auch nachdenklich bis melancholisch. Dieses Album ist mehr als nur eine beiläufige, eine „nette“ Platte. „Schau in den Lauf Hase“ zählt zu den besten Alben des Jahres 2013, auf denen Deutsch gesungen wird. Dafür gibt es Gründe. Es sind derer mindestens fünf.

Erstens: Die Höchste Eisenbahn sind angenehm undeutsch. Los legt die Band gleich mal mit „Egal wohin“, einem funkigen Discostück mit simplen Beats und fast ordinären Saxofon-Soli, auf das wohl von den Talking Heads bis zu Billy Joel alle neidisch gewesen wären, so locker-leicht überschreitet es jede Kitschgrenze. Und, eben, locker-leicht: Die Höchste Eisenbahn haben nichts Schweres, Biederes im Gepäck, nicht die dicke braune Soße auf den Kartoffeln, selbst dem Stück „Aliens“, mit eher melancholischem Text, liegt ein swingender Rock-’n’-Roll-Beat zugrunde.

Zweitens: Die Höchste Eisenbahn ist rotzig und romantisch zugleich. Wenn Krämer im vierten Lied die Geschichte von Robert und Isabel („Isi“) vorträgt, so fällt einem als große Referenz nur Rio Reiser ein. Gefühlt war Reiser der letzte, der die Märchen sowie die traurigen Short Stories des Alltags erzählen konnte, ohne dass es weichgespült daherkam. In „Isi“ klingt Sehnsucht genauso an wie die unbedingte Hoffnung auf das bessere Leben. Heterotopie und Anachronismus zugleich, was Wilking und Krämer hier entwerfen. Die Musik und die Texte fesseln einen, wenn man Roberts Weg durch die Irrungen und Wirrungen der Liebe mitverfolgt: „Und die Leute schrien: Los Robert, tu, was Du tun musst/ und er sprang die fahrende Bahn an, schlug die Scheibe ein und gab Isi einen Kuss“.

Drittens: Die Höchste Eisenbahn sind verspielt, mitunter albern. Beim zweiten Song, „Body & Soul“, fehlen nur noch die Liege und der Cocktail; es beginnt direkt mit einer seichten Gitarre, Bacardi Feeling stellt sich ein. Später krakeelt irgendwo eine Mundharmonika, die Snare des Schlagzeugs hackt indessen monoton vor sich hin, ein abgedrehtes Klavier rauscht rein. Wilking und Krämer singen dazu: „Ich will meinen Namen hören aus jeder Stadt und jedem Dorf.“ Selbst eine Zeile wie letztere ist bei ihnen sorgsam eingebettet in toll erzählte Geschichten von Einsamkeit, vom Scheitern, vom täglichen Sisyphusdasein – ohne im Mindesten peinlich zu klingen.

Denn, viertens: Die Höchste Eisenbahn können texten. Sicher gibt es auch bei Krämer und Wilking bessere und schlechtere Texte; woran es den meisten deutschen Bands aber krankt, das gelingt hier oft. Beim Titelstück, das mit Karibikrhythmen daherkommt, harmoniert der Text wunderbar mit dem beschwingten Rhythmus: „Schau in den Lauf, Hase / Lauf, Hase“ variiert da mit „Schlaf dich aus, Hase / aus, Hase“ oder „Gib nicht auf, Hase / auf, Hase“. In „Pullover“ gibt es eine unangestrengte Erzählung vom Auseinandergehen, in der sich wohl – wenn auch nicht im Detail – so mancher wiederfinden dürfte: „Haben geschworen, sich zu lieben, sich ja nie wieder zu trennen / Sie hatten Sex in der Umkleide von H+M / Sie haben sich verletzt, entschuldigt und verziehen und gelacht / und dann in Wien, Rom und Paris Liebe gemacht / sie haben gewusst oder geahnt, dass die Liebe nicht reicht / Sie machte Schluss in der Bahn auf dem Weg in die Schweiz.“ Es sind einfache, neorealistische Zustandsbeschreibungen, die ohne Schwülstigkeit auskommen.

Fünftens: Die Höchste Eisenbahn passen in kein Schema. Indiepop und Singer-Songwriter sind Kategorien, die man ihnen gerne zuspricht, aber nicht so recht treffen, was auf dem aktuellen Album zu hören ist. Klar, ein Hamburger-Schule-Einschlag bleibt nicht aus; auch klingt durch, dass man mit Songwriter Gisbert zu Knyphausen befreundet ist oder mit Judith Holofernes (die auch live bisweilen mitmischt). Aber am besten sind die Höchste Eisenbahn, wenn sie Klänge in der Karibik aufsammeln oder ein bisschen Bay Area Funk und New York Boogie aufschnappen. Um dann zu landen auf dem Berliner Boden der Tatsachen.

Die vier Musiker machen es in diesem Berlin, Ende 2013 nicht sonderlich schwer, auf ihren Zug aufzuspringen. Melancholie und Lässigkeit zu vereinen und ein Album daraus zu stricken, das kann gründlich schiefgehen. Die Höchste Eisenbahn schaffen es spielerisch.

■ „Schau in den Lauf Hase“ ist bei Tapete Records erschienen. Das Konzert am 16. Februar im Lido ist schon ausverkauft. Ein Zusatzkonzert spielen Die Höchste Eisenbahn am 1. Juni