Gleich brüllen sie wieder

THEATER Eine Kunstanstrengung, die es niemandem bequem machen will – höchstens sich selbst: Sebastian Hartmann inszeniert „Der Löwe im Winter“, ein Königsdrama von James Goldman, am Deutschen Theater

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Wäre da nicht der Beruf als Theaterkritikerin, ich hätte mich am Freitagabend womöglich anderen Königsdramen gewidmet und von der heimatlichen Couch aus die Kriege und Intrigen der Lannister und Tyrell um die Macht in Westeros geguckt, in der dritten Staffel von „Game of Thrones“. Deren Fantasy-Welten haben einen mindestens so starken Shakespeare-Touch wie das 1966 vom US-amerikanischen Autor James Goldman geschriebene Drama „Der Löwe im Winter“, das Sebastian Hartmann für das Deutsche Theater inszeniert hat. Die Handlung ist angelehnt an die Geschichte der Adelsfamilie der Plantagenet im 12. Jahrhundert und erzählt von König Henry II. und dreien seiner Söhne, in einem verwickelten Kampf um die Macht und Henrys Erbe. Eigentlich sind alle Elemente da für einen spannenden und unterhaltenden Theaterabend, großartige Schauspieler, düstere Geschichte, jede Menge Hinterhältigkeit, verborgene Gefühle. Bloß dass es dem Regisseur auf etwas anderes anzukommen scheint.

Jetzt ahnt der Leser vielleicht schon: Zufrieden machten die Rezensentin am Ende höchstens das Freibier zur Premiere und die zufällig getroffenen Freunde, weniger die drei Stunden Aufführung. Mussten die Schauspieler doch mal wieder furchtbar viel brüllen und ihr Spiel viele Male ins Infantile treiben. Mama hat sie nicht lieb, die drei Königsanwärter Geoffrey, John und Richard, Papa ist auch gemein und schläft zudem mit der potenziellen Braut des künftigen Königs. Sie greinen, stampfen mit den Füßen, werfen sich der Mama in den Schoß.

Dialog, Monolog

Ja, will ich denn etwa Helden sehen, ungebrochenes Identifikationstheater, erhabene Momente? Ist doch sonst auch nicht mein Ding. Aber es gibt ja auch eine weniger plumpe Art des Gleitens zwischen Spiel und dem übertriebenen Ausagieren des Spiels, die Sebastian Hartmann, das hat der ehemalige Intendant am Schauspiel Leipzig etwa in „Krieg und Frieden“ dort bewiesen, durchaus beherrscht. Aber das ist diesmal fast nur dem Schauspieler Andreas Döhler gegönnt, der als Philip II., König von Frankreich, als einziger von außen in diese Familie kommt und von jedem als Bündnispartner für eine Intrige umworben wird. Wie er erst seinen Dialog mit dem alten Henry (Michael Schweighöfer) als Monolog vorwegnimmt, als rhetorische Übung, bei der er nicht wissen lassen darf, wie weit er seinen Gegner schon durchschaut, ist großartig, feinstes Understatement des großspurigen Kräftemessens.

Und auch die Szene, in der er Henrys Söhne, die sich nach und nach zu ihm schleichen, um jeweils ihre Brüder und ihren Vater zu verraten, wortkarg hinhält, nicht Fisch, nicht Fleisch, nicht lügt und nichts verspricht, zieht einen mit hinein in diesen höchstkomplizierten Drahtseilakt. Aber das sind leider Ausnahmen.

Kranz und Korb

Sebastian Hartmann hat auch das Bühnenbild entworfen mit einem Zinnenkranz aus Drahtkörben, viel auf- und niederfahrend, und einem zweiten Kranz aus Körben, der wie ein halbversunkenes Riesenrad in der Erde zu stecken scheint. Die symbolischen Bilder, die Hartmann damit baut, das Touren der Drehbühne und der pittoreske Sound der Elektro-Musiker der Band „Nackt“, die sich mit auf Drehbühnenscheibe dreht, erzeugen von Zeit zu Zeit die Anmutung, in ein riesiges Getriebe zu schauen, in dem die kleinen Schauspielmenschen zu viel wuseln und hetzen können, wie sie wollen, am Ende zermalmt sie der Apparat doch. Das ist zwar atmosphärisch dicht, in der Aussage aber nicht gerade überzeugend. Wozu dann das ganze Theater?

Tatsächlich leuchtet der Aufwand nicht ein, mit dem hier erzählt wird, während doch das Erzählte selbst eher als nebensächlich abgetan wird, als x-ter Aufguss einer Hetze gegeneinander, die schon lange vor Stückbeginn tobte und die nun wirklich keiner mehr verstehen kann.

Als Kunstanstrengung, die es niemand bequem machen will, stellt sich dieser Abend aus, macht es dem Zuschauer auch gelegentlich ungemütlich mit grellem Licht in die Augen. Bloß zum Denken wird man kaum gebracht, oder irgendwie berührt in seinen Gewissheiten, irritiert in seinem Urteil. Aber darauf käme es doch eher an.

So wird man langsam ungeduldig und wartet auf das vorsehbare Ende, wenn endlich alle hin sind. Und Ruhe ist.

■ „Der Löwe im Winter“, Deutsches Theater, wieder am 4., 6., 12. März