Respektlos, das war er

FILMPREMIERE Leben und Sterben des salvadorianischen Dichters Roque Dalton war eng mit seinem politischen Engagement verknüpft. Das erzählt auch der Film „Roque Dalton: Erschießen wir die Nacht!“

„Wer Kritik an der Sowjetunion übt, muss ein Feind der Sowjetunion sein.

Wer Kritik an China übt, muss ein Feind Chinas sein.

Wer Kritik an der der salvadorianischen Kommunistischen Partei übt, muss ein CIA-Agent sein.

Selbstkritik bedeutet Selbstmord.“

Roque dalton

VON RALF LEONHARD

„Aída, fusilemos la noche“ – „Aída, erschießen wir die Nacht!“ heißt das erste Gedicht, das Roque Dalton seiner damals schon schwangeren Ehefrau Aída gewidmet hat. Es ist kein traditionelles Liebesgedicht, das der notorische Schürzenjäger da 1956 niederschrieb. Er macht in den wenigen Zeilen seiner Wut auf den falschen Patriotismus seines kleinen Landes El Salvador, auf die atomare Hochrüstung der Welt und das „kollektive Elend“ Luft. Sanfte Liebesworte, gemischt mit Sozialkritik und zorniger Anklage gegen die heuchlerische Politik.

Was scheinbar unvereinbar ist, kann Dalton in einem einzigen Gedicht zusammenmixen, ohne dass es verkrampft wirkt. Roque Dalton (1935–1975) war nicht nur der begabteste, sondern ganz gewiss auch der originellste Dichter El Salvadors. Aber zur Legende wurde er durch die Umstände seines frühen Todes.

Vom CIA verhört

Als Dichter und Kommunist fand er zu den revolutionären Organisationen El Salvadors, die gegen das repressive Militärregime keine Alternative zum bewaffneten Kampf fanden. Zweimal vom Regime gefangen, von CIA-Agenten verhört und zum Tode verurteilt, konnte er unter abenteuerlichen Umständen entkommen und wurde dann ausgerechnet von den eigenen Mitstreitern als vermeintlicher Spitzel erschossen.

Wenn sich Künstler vor den Wagen einer Partei spannen lassen, fällt das selbstständige kreative Denken oft der Disziplin zum Opfer. Dalton hatte es aber trotz seines unzweifelhaften Engagements für die Revolution verstanden, das unabhängige Denken zu bewahren. Das war sein Unglück. Denn für die Regierung war er ein Subversiver und für die Partei ein unbequemer Querdenker.

Die für die revolutionäre Linke des zentralamerikanischen Zwergstaates beschämende Femejustiz ist wohl einer der Gründe, warum die Geschichte dieser Hinrichtung nie aufgearbeitet wurde. Auch nicht, als die aus der Guerillafront hervorgegangene FMLN vor fünf Jahren über die Wahlurnen an die Macht kam.

Auch die österreichische Filmemacherin Tina Leisch, die in El Salvador, Kuba, Prag und anderen Orten, wo der Poet Spuren hinterlassen hat, Zeitzeugen aufsuchte, stieß an eine Betonwand, wenn sie für ihren Dokumentarfilm „Fusilemos la noche“ die mutmaßlichen Täter mit dem Verbrechen konfrontieren wollte.

Einer von ihnen, Jorge Meléndez, alias Jonás, diente damals als Staatssekretär für Zivilschutz. „Joaquin Villalobos, heute als Berater für rechte Regierungen tätig, war allen Aussagen zufolge derjenige, der den Beschluss des Führungsgremiums des ERP umsetzte, Dalton zu erschießen. Keiner von ihnen wurde je gerichtlich belangt, keiner hat die Familie von Dalton je um Verzeihung gebeten“, sagt Tina Leisch bitter.

Tina Leisch gelang es trotzdem, für ihr filmisches Porträt eine beeindruckende Anzahl von Weggefährten Daltons zu finden und vor die Kamera zu bekommen. Von Passanten in San Salvador bis zum US-amerikanischen Linguisten und Kapitalismuskritiker Noam Chomsky, von den Söhnen und der Witwe über eine Geliebte bis zu den Mördern. Roque Dalton selbst, der als Pappfigur von Station zu Station mitwandert, wird dadurch plastisch.

Roque Dalton war eine der schillerndsten Figuren der salvadorianischen Kulturszene der sechziger Jahre. Wortgewandt, witzig, selbstironisch produzierte er Lyrik am laufenden Band, schrieb Dramen und wurde mit 23 Jahren Direktor der Universitätsbühne. Der Dichter Dalton hat den Politiker Dalton überlebt. Doch sein Leben und Sterben war eng mit dem politischen Engagement verknüpft.

„Zwei Arten von Schriftstellern finden in Roque Dalton zueinander“, meint der salvadorianische Schriftsteller Horacio Castellanos: „Einerseits das kommunistische Modell des Autors, der sich dem politischen Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit verbunden weiß; andererseits das Modell des verwegenen, subversiven, provokanten, respektlosen Dichters, der Villon näher steht als Majakowski.“

Respektlos, das war er. Nicht nur der Willkürherrschaft im eigenen Land und deren Schutzmacht USA gegenüber, sondern auch gegenüber ideologisch verbohrten Mitkämpfern, die an die Reinheit der marxistischen Lehre glaubten.

■ Heute Berliner Premiere im Kino Arsenal, 20 Uhr: „Roque Dalton: ¡Fusilemos la noche!“. Österreich, Kuba, El Salvador, Spanien 2013, OmU, 85 Min. Danach Diskussion mit der Regisseurin Tina Leisch