Rahmen für die Gräuel

KRIEGSBERICHTERSTATTUNG „Ein eigener Blick. Amerikas Kriegskorrespondentinnen“ – ein Vortrag der Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen im Rahmen der Mosse-Lectures „Vom Krieg berichten“

Margaret Bourke-White fotografierte das KZ Buchenwald kurz nach der Befreiung. Sie fürchtete, dass die Realität der Konzentrationslager zu schnell verdrängt oder überhaupt nicht geglaubt werden könnte

Im Jahr 1940 ist Claudette Colbert ein Star. Sie gehört zu den bestbezahlten Schauspielerinnen in Hollywood, ihr Fach ist die Komödie, mit Ernst Lubitsch hat sie ebenso gearbeitet wie mit Frank Capra. In „Arise, my Love“ von Mitchell Leisen spielt sie eine Klatschreporterin namens Augusta Nash, die es nach Spanien verschlägt. Durch Zufälle und Abenteuer, zum Beispiel eine Verfolgungsjagd in der Luft, die von eifrigem Schreibmaschinengeklapper und schlagfertiger Flirtabwehr untermalt wird, reift sie zur verdienten Kriegsreporterin; sie berichtet vom Vormarsch der Nazis aus Polen, Frankreich, Norwegen und Finnland, was eine Montage von Zeitungstitelseiten, die um die eigene Achse rotieren, veranschaulicht.

Elisabeth Bronfen, Literaturwissenschaftlerin aus Zürich, zeigte einige Szenen aus „Arise, my Love“, als sie am Donnerstagabend in der Berliner Humboldt-Universität im Rahmen der Mosse-Lectures vortrug. Der Film untermauert eine ihrer zentralen Thesen. Der fiktiven Figur der Augusta Nash steht eine reale Person Pate, Martha Gellhorn, eine Kriegsreporterin, die für das Magazin Collier’s 1936 aus Spanien und 1938 aus der Tschechoslowakei berichtet.

Nach dem Eintritt der USA in den Krieg (für den „Arise, my Love“ unverhohlen wirbt) rapportiert Gellhorn dann von einem Lazarettschiff aus über die Landung der alliierten Truppen in der Normandie. Für Bronfen geschieht in Leisens Film etwas Wesentliches: Ihr Charisma macht die Kriegsreporterin Gellhorn zu einer Art Star, und nun schickt sich ein echter Star, Colbert, in die Rolle der Kriegsreporterin.

Bronfen sprach am Donnerstag über drei US-amerikanische Kriegsreporterinnen – neben Martha Gellhorn Lee Miller und Margaret Bourke-White –, und immer wieder suchte sie dabei nach der Stelle, wo der nüchtern-dokumentarische Blick sich auflädt und aus der Welt der Mode und der Celebritys schöpft.

Nicht, weil das frivol wäre, sondern eher, weil dabei ästhetische Strategien zum Einsatz kommen, die das Geschehen auf den Kriegsschauplätzen für diejenigen, die nicht daran teilhaben, die keine Augenzeugen sind, erst kommensurabel machen. Die Bilder, erläuterte Bronfen, bräuchten die Ästhetisierung, da ihr eine doppelte Kraft innewohne: Zum einem vermittele sie die radikal zerstörerische Kraft des Krieges, zum anderen banne sie sie aber auch, indem sie einen Rahmen für die Gräuel schaffe. Dabei neigte Bronfen dazu zu übersehen, dass ästhetische Strategien auch dort wirken, wo eine Inszenierung nüchtern und unspektakulär bleibt; die Gegenüberstellung von rein Dokumentarischem und ästhetischer Überhöhung überzeugte nicht ganz, die Mannigfaltigkeit ihrer Beispiele dafür umso mehr.

Bourke-White etwa, eine Pionierin der Industriefotografie, nahm 1941 einen Luftangriff der Deutschen auf Moskau als Spektakel aus Lichtkugeln, -linien, -flächen und tiefem Schwarz auf und notierte dazu: „ein abstraktes Design mit dem Himmel als Leinwand“. Lee Miller, die ihre Karriere als Modell und Modefotografin begann, lichtete die Tochter des Leipziger Bürgermeisters, die sich zusammen mit ihrer Familie 1945 das Leben nahm, als „cadavre exquis“ ab, als schöne Leiche.

Auf dem Hochformat sieht die junge Frau aus wie auf den dunklen Polstersessel hingegossen, ihr Gesicht ist von wächserner Transparenz, ein weißer Kontrapunkt im Dunkel des restlichen Bildes. Sich selbst ließ Miller von ihrem Gefährten David Scherman in Hitlers Wohnung am Münchner Prinzregentenplatz fotografieren, unter anderem in der Badewanne, eine Inszenierung, die die „siegreiche Inbesitznahme der Intimsphäre des Feindes“ unterstreiche, so Bronfen.

All das bedeutet nicht, dass Miller, Bourke-White oder Gellhorn sich von den Gräueln des Zweiten Weltkriegs nicht hätten anrühren lassen. Bourke-White besuchte das Konzentrationslager Buchenwald, kurz nachdem es befreit worden war. Sie schrieb, dass sie einen unüberwindbaren Drang verspürt habe zu fotografieren. Nicht nur, weil die Kamera sie schützte; sie bildete einen Wall zwischen ihr und dem Leid der anderen, sondern auch, weil sie fürchtete, dass die Realität der Konzentrationslager zu schnell verdrängt, vergessen oder überhaupt erst gar nicht geglaubt werden könnte. Um dem vorzubeugen, sah sich Bourke-White in der Pflicht, das Grauen zu bezeugen. Die Reportage, die in der Zeitschrift Life erschien, trug den Titel „Believe it!“.

CRISTINA NORD