Allseitig reduzierte Filmemacherinnen

FILMERBE Ula Stöckl oder Helke Sander sind als Repräsentantinnen des Neuen Deutschen Films weniger bekannt als ihre männlichen Kollegen. Warum es zentral wichtig ist, ihnen einen Platz im Filmkanon zu schaffen

Aber, wie Jutta Brückner anmerkt, ist auch das eigentlich positiv intendierte Etikett des „Frauenfilms“ schnell zur „Zwangsjacke“ für die eigene Sache geworden

VON SILVIA HALLENSLEBEN

In vielen Nachrufen zum Tod von Helma Sanders-Brahms am 27. Mai wurde die Einschätzung geteilt, dass die Filmemacherin jenseits deutscher Grenzen um einiges bekannter und geehrter sei als in ihrem Heimatland. Dieser Einmut war so groß, dass es sich Jutta Brückner – selbst langjährige Filmregisseurin und seit fünf Jahren Direktorin der Sektion Film- und Medienkunst der Akademie der Künste in Berlin – nicht verkneifen konnte, in ihrem eigenen Beitrag zum Tod der Kollegin am 4. Juni auf faz.net uns Journalisten in einer forschen Medienschelte erst einmal des notorischen Abschreibens zu bezichtigen – bevor sie dann in ihren weiteren Ausführungen genau dieser Einschätzung auch zustimmte, ja, sie zum kollektiven Schicksal einer ganzen Generation von Filmregisseurinnen erweiterte, die heute „jenseits der engen Zirkel deutscher Kinematheken“ unbekannt seien.

Welche Zirkel Jutta Brückner damit genau meint, ist nicht ganz klar. Aber ich würde zustimmen, dass im öffentlichen Umgang mit der westdeutschen Filmgeschichte je nach Geschlecht mit unterschiedlichem Maß gemessen wird. Das trifft besonders die um 1940 Geborenen, neben Jutta Brückner und Helma Sanders-Brahms wären hier vor allem Claudia von Alemann, Jeanine Meerapfel, Helga Reidemeister, Helke Sander und Ula Stöckl zu nennen.

Einige Jahre, nachdem 26 junge Männer 1962 das Oberhausener Manifest proklamiert hatten, forderten sie mit viel Energie und Streitlust die Teilnahme von Frauen am programmatischen Neubeginn des bundesdeutschen Kinos und realisierten dies auch mit eigenwilliger und oft experimenteller Filmsprache. Bei ihnen fällt die Diskrepanz zwischen den Geschlechtern besonders auf, gelten doch einige männliche Regisseure der gleichen Jahrgänge – insbesondere das Quintett Fassbinder, Herzog, Reitz, Schlöndorff und Wenders – heute als fest installierte Referenzgrößen der westdeutschen Nachkriegsfilmgeschichte und ihrer heroischen Epoche des Neuen Deutschen Films, die endgültig erst mit dem Tod Rainer Werner Fassbinders 1982 ihr Ende fand.

Ihre Kolleginnen dagegen hatten zwar in einer kurzen kämpferisch emphatischen Phase Ende der 1960er und Anfang der 1970er ebenfalls verstärkte Aufmerksamkeit für ihre Arbeiten und ihr Anliegen gefunden. Doch mit der zunehmenden Institutionalisierung des deutschen Filmwunders durch die Förderpolitik änderte sich dies. Ab Mitte der 70er Jahre schwand das Wohlwollen gegenüber dem Autorenfilm im Generellen und auch das gegenüber den Filmfrauen und machte Überdruss Platz. Und während Wim Wenders und Kollegen trotzdem und trotz manch folgender Schwächen bis heute ihren Platz als Ikonen deutscher Filmgeschichte behaupten konnten, fielen so bedeutende Pionierinnen wie Helke Sander oder Ula Stöckl kollektiver Ignoranz anheim.

Eine Ausnahme machte die zeitlich verschobene Karriere von Margarethe von Trotta, die erst Ende der 70er Jahre mit eigenen Regiearbeiten antrat und sich mit ihren jenseits der filmsprachlichen Innovationen ihrer Kolleginnen im narrativen Mainstream angesiedelten Frauenbiografien einen festen Platz bewahren konnte. Heute tauchen ihre Namen höchstens noch in Randbemerkungen der kanonisierten Filmgeschichten und Darstellungen auf, von ihrem ästhetischen Eigensinn erfährt man fast nichts.

So werden etwa im derzeitigen Wikipedia-Eintrag zum Stichwort „Deutscher Film“ Helma Sanders-Brahms, Helke Sander und Margarethe von Trotta unter dem Etikett „feministischer Film“ in einem einzigen Satz gemeinsam am Ende des Abschnitts zum Neuen Deutschen Film abgehandelt. Und in der von Wolfgang Jacobsen, Anton Kaes und Hans-Helmut Prinzler herausgegebenen „Geschichte des deutschen Films“ taucht in dem von Norbert Grob verantworteten 60er-Jahre-Kapitel Ula Stöckl mit einem einzigen knappen Hinweis zu ihrem Film „Neun Leben hat die Katze“ auf.

Korrekterweise sei angemerkt, dass Claudia Lenssen im gleichen Band in ihrem Kapitel zu den 70er Jahren den filmenden Frauen etwas mehr Raum eingeräumt hat. Bezeichnend auch, dass von den jährlich verliehenen Ehrenpreisen für hervorragende Verdienste um den Deutschen Film der deutschen Filmakademie – immer ein guter Seismograf für die filmöffentliche Anerkennung – bisher nur zwei an Regisseurinnen gingen: 1963 an Asta Nielsen (immerhin!) und 1972 an Lotte Reininger (ganz nebenbei ging der einzige Hauptpreis für eine Regisseurin dort bisher an Charlotte Link für „Out of Africa“).

Letzte Bastion des Machismo

Wichtig ist das alles nicht aus abstrakter Quotenhuberei, sondern deshalb, weil diese Ausgrenzung und Missachtung eines Teils der westdeutschen Filmgeschichte auch bedeuten, dass in diesem Bild ein wesentlicher Aspekt möglicher filmischer Wahrnehmung der Welt und zu erzählender Geschichten fehlt. Denn man muss nicht biologistisch denken, um zu sehen, dass die Filme der Regisseurinnen andere, abweichende und neue Erfahrungen formulieren, die die scheinbar naturgegebene Perspektive des dominanten männlichen Blicks infrage stellen und so auch die Filmgeschichte neu justieren.

So hat Sanders-Brahms in „Deutschland, bleiche Mutter“ nicht nur die historische Einschätzung der Nachkriegszeit in wesentlichen Aspekten zurechtgerückt, sondern mit der von ihr begründeten eigenen Form des Autorinnenkommentars (etwa in „Shirins Hochzeit“) auch das Verhältnis der Filmemacherin zu ihrem Sujet neu austariert.

Helke Sanders hat mit „Die allseitig reduzierte Persönlichkeit – Redupers“ eine ganz neue, dokumentarische-fiktionale Mischform entwickelt, um ganz persönlich von Frauenbiografien im gesellschaftlichen Kontext zu erzählen.

Und Ula Stöckls „Neun Leben hat die Katze“ formulierte 1968 auf eine vorher ungekannte Art Aspekte von weiblichem Lebensgefühl und Lust. Diese Sichtweisen, Beobachtungen und Figuren fehlen ohne dem Verweis auf die Autorinnen, die ihnen Stimme und Form gegeben haben. Von vielen wird das offensichtlich auch nicht vermisst oder sogar als lästiger Störfaktor empfunden in einer Filmwelt, die – so schreibt Brückner – in ihrer „Verbindung von finanzieller Macht und der Macht über das Un- und Halbbewusste die letzte Bastion eines Machismo ist, der sich für natürlich hält und sich nicht geniert“.

Aber, wie Jutta Brückner ebenfalls anmerkt, ist auch das eigentlich positiv intendierte Etikett des „Frauenfilms“ schnell zur „Zwangsjacke“ für die eigene Sache geworden. Es hatte sich nämlich im Lauf der Jahre vom Kampfbegriff für eine vermehrte aktive Teilnahme von Filmemacherinnen zu einer Generalschublade für all das verwandelt, was irgendwie mit dem Kino und den Frauen zu tun hatte, traditionell zugeschriebene Klischees und Problemlagen eingeschlossen.

Mit der zunehmenden Naturalisierung des Weiblichkeitsbegriffs auch von feministischer Seite mitsamt einer dazugehörigen „weiblichen Ästhetik“ amalgamieren sich dann Selbst- und Fremdzuschreibung – und der ursprüngliche Kampf um eine eigene Filmsprache konnte zum Eigentor werden, das auch gut zur Diffamierung der angeblich in den Filmen von Frauen thematisierten Sujets als Weibergedöns taugte, mit denen mann sich nun nicht freiwillig auch noch im Kino konfrontieren wollte.

Der „Frauenfilm“ war erst mal out. Und die Frage nach der Präsenz von Regisseurinnen schien vielen mit den kommerziellen Erfolgen von Caroline Link und Doris Dörrie erst mal im Sinn eines integrierenden Mainstreams gelöst.

Doch spätestens bei den Protesten der Regisseurinnen in Cannes vor zwei Jahren dürfte auch Unbeteiligten klar geworden sein, dass hier doch noch einige Fragen offen sind. Zwei von der internationalen Koordination von Frauenfilmfestivals initiierte Treffen von Filmfrauen bei den beiden letzten Berlinalen haben die Aktualität eines akuten Unbehagens am geschlechterpolitischen Status quo unterstrichen, das nicht nur berufsständisch, sondern auch inhaltlich ausgerichtet war.

Zu hoffen ist, dass die Akteurinnen irgendwann lauter die Stimme erheben. Und dass sie auch sonst bei ihrer Arbeit die Filmgeschichte mitdenken.