Wenn es im Weltall Leben gäbe

FILMFESTIVAL Im FSK-Kino werden sehenswerte Dokumentarfilme zum Thema Aufeinandertreffen von Welten gezeigt, darunter auch „Sauerbruch Hutton“, das letzte Werk des kürzlich verstorbenen Regisseurs Harun Farocki

Die Porträtierten in „Nebel“ verbindet allesamt die große Freude an ihrer Arbeit

VON DETLEF KUHLBRODT

Zum zweiten Mal zeigt das FSK in Zusammenarbeit mit dem Sputnik-Kino ein kleines Dokumentarfilmfest mit 18 zwischen 2012 und 2014 entstandenen Werken. Zwölf stammen aus Deutschland; die anderen wurden in Österreich, der Schweiz, der Ukraine und Taiwan hergestellt. Eine mongolisch-deutsche Koproduktion ist auch dabei.

Häufig handeln die Filme vom Aufeinandertreffen zweier Welten, vom Sichzurechtfinden in einer neuen Welt, es geht um interkulturelle Belange: Die Schweizer Produktion „Neuland“ von Anna Thommen erzählt von afghanischen, serbischen und venezolanischen Flüchtlingen, die in Basel Deutsch lernen.

Die türkische Filmemacherin Emine Emel Balci porträtiert in „Ich liebe dich“ junge Kurdinnen, die deutsche Sprachkurse besuchen. Serpil Turhan spricht in „Meine Zunge dreht sich nicht“ mit ihren seit 1973 in Deutschland lebenden Eltern und den in Berlin und Istanbul wohnenden Großeltern über das allmähliche Verschwinden ihrer kurdischen Identität.

In dem Film „Zuwandern“ begleiten Sabine Herpich und Diana Botescu eine rumänische Familie bei ihren Versuchen, in Deutschland heimisch zu werden. Der schöne Schwarz-Weiß-Film „Ödland“ von Anne Kodura beobachtet Kinder und erzählt aus ihrer Perspektive, wie sie mit ihren Müttern aus Kriegsgebieten nach Deutschland flohen und seitdem in einer Kaserne, umgeben von einer Acker- und Waldlandschaft, leben.

Häusliche Gewalt

Mit „Alleine Tanzen“ versucht Biene Pilavci, eine schwierige Familiengeschichte aufzuarbeiten. Ein Leben, bestimmt durch häusliche Gewalt. Der Vater misshandelte seine Ehefrau und die vier Kinder. Die Mutter schlug auch. Mit zwölf entkommt die Regisseurin ihren Eltern, nachdem sie sich die Haut mit Schleifpapier aufgerubbelt hatte, und lebt in einem Heim. Die Geschwister empfinden ihre Flucht als Verrat. Irgendwann zeigt die Mutter den Mann wegen Vergewaltigung an. Er kommt in das gleiche Gefängnis wie der kleine Bruder ein paar Jahre später wegen Drogen. Der Film ist von einer Intensität, der man sich kaum entziehen kann. Geschwister und Eltern sprechen teils widerwillig über die Misshandlungen und das, was ihnen selbst in ihrer Kindheit angetan wurde. Ob das therapeutische Unternehmen im echten Leben gelingt, bleibt unklar. Als Zuschauer ist man Biene Pilavci dankbar.

Ähnlich intensiv ist die ukrainisch-österreichische Koproduktion „Sickfuckpeople“ von Juri Rechinsky. Es geht um Straßenkinder, die in einem Keller in Odessa leben, Drogen nehmen und im Müll nach Verwertbarem suchen. Manchmal hat „Sickfuck People“ etwas Alptraumartiges, wobei die furchtbarsten Szenen nicht die sind, in denen sich die Jugendlichen selbst zerstören, sondern die, in denen gezeigt wird, wie Passanten auf sie reagieren. Philipp Diettrichs stiller Film „Weiß der Wind“ handelt von einer jungen Frau, die nach einer Drogentherapie ihre Familie in der Lausitz besucht. Auf angenehme Weise bleibt unklar, worum es geht.

Die Heldin liest eine Weile die therapeutischen Tagesabläufe vor, sagt Sätze wie „Mit meiner Freizeitgestaltung habe ich Probleme, da ich nicht viel mit mir anzufangen weiß“; ab und an gibt es Bilder von Technopartys, Friseurbesuchen oder die Kamera tastet Körper ab, die am Strand liegen.

Auf eine andere Art verknappt und verdichtet sind die Miniaturporträts in dem Film „Nebel“ von Nicole Vögele. Zunächst ist alles weiß, dann lichtet sich der Nebel und man begegnet Menschen bei der Arbeit; einem Astronomen, der es schön fände, wenn es im Weltall Leben gäbe, einem langhaarigen Musiker auf der Suche nach der großen Liebe; einer Pudelzüchterin und einem Kapitän. Die Porträtierten verbindet die Freude an ihrer Arbeit.

Während man in dem ereignisarmen taiwanischen Film „Journey to the West“ einem Mönch zuschaut, der langsam durch Marseille geht, erzählt Bernadette Weigel in „Fahrtwind“ von einer Reise, die sie von Wien über Bukarest, Odessa und weiter bis in ein abchasisches Flüchtlingsheim führt. Teils erinnert der in Super 8 gedrehte Reisefilm an Filme von Jan Peters und TV-Dokus. Sehr schön gelingt es der Regisseurin, Stufen von Nähe und Fremdheit darzustellen.

In seinem letzten Film „Sauerbruch Hutton“ porträtiert der kürzlich verstorbene große Dokumentarfilmer Harun Farocki Arbeitsprozesse in dem gleichnamigen berühmten Architektenbüro. Sein Film besticht durch große Sachlichkeit und Klarheit.