„Ich habe genug vom Holocaust“

„NUMBERED“ Dana Dorons Film erzählt die Geschichten hinter den KZ-Tätowierungen. Jetzt ist die Regisseurin in Hamburg zu Gast

■ 33, arbeitet als Ärztin in Tel Aviv. Gemeinsam mit dem Fotografen Uriel Sinai hat sie 2012 den Dokumentarfilm „Numbered“ gedreht.

taz: Frau Doron, Sie sind Ärztin. Warum machen Sie einen Film über KZ-Überlebende?

Dana Doron: Vor ein paar Jahren kam eine Patientin in die Notaufnahme. Als ich sie nach ihren Schmerzen fragte, zeigte sie mir nur ihren linken Arm, mit der Identifikationsnummer, die ihr die Nazis im KZ tätowiert hatten. Eine Stunde lang erzählte sie mir aus ihrem Leben. Als ihre Tochter sie abholte, entschuldigte sie sich: Ihre Mutter würde immer ins Krankenhaus gehen, wenn sie mal wieder Lust auf einen Plausch hatte. Ich mochte aber, dass die Frau ihre Tätowierung nutzte, um ein bisschen unterhalten zu werden. Was wohl der Nazi-Offizier dazu sagen würde, der ihr die Tätowierung verpasst hatte? Ich wollte mehr erfahren darüber, welche individuellen Bedeutungen Menschen diesen Nummern gaben, die ihnen jede Individualität nehmen sollten.

Sie sprachen mit mehr als 50 Überlebenden. Warum behielten sie die Tattoos?

Es war damals weder machbar noch üblich, Tattoos zu entfernen. Viele hatten auch kein Geld. Die Frage stellte sich gar nicht. Es ging darum, wie man im Leben nach dem Holocaust mit ihnen umgeht. Jeder meiner Protagonisten hatte da einen anderen Weg: Einer trug extra immer kurze Ärmel, war stolz. Einer sprach nicht mal mit seiner Familie über seine Erlebnisse in Auschwitz. Den Zweiten Weltkrieg habe ich aber auch selbst bewusst ausgeklammert.

Warum?

Ich habe genug vom Holocaust. Das geht vielen aus meiner Generation so. Ich gucke mir nicht mehr an, wenn im Fernsehen zum x-ten Mal erzählt wird, wem Schlimmes angetan wurde.

Sollten solche Erinnerungen nicht bewahrt werden?

Für mich ist das Problem, dass in Israel kein Diskurs darüber stattfindet, wie wir bewahren wollen. Es gibt in dem Film eine Szene, in der sich ein Großvater und sein Enkel umarmen. Der Großvater sagt: „Wir haben gewonnen.“ Die Narben werden weitergereicht, von Generation zu Generation. Und politisch instrumentalisiert, wenn etwa aggressive israelische Außenpolitik immer wieder mit dem Argument gerechtfertigt wird, dass es unsere Aufgabe sei, einen zweiten Holocaust zu verhindern.

Woran sollte aus Ihrer Sicht erinnert werden?

Die Lebensgeschichten der Überlebenden sind viel größer als Auschwitz. Sie müssen größer sein, weil die Menschen, nachdem ihnen das Schrecklichste angetan wurde, nicht Opfer blieben. Sondern ihr Leben selbst gestalteten.  INTERVIEW: ETH

Vorführung und Diskussion: Sa, 1. 11., 17 Uhr, Metropolis, Hamburg