Zunehmend Lücken im Programm

ORCHESTER Die Sparmaßnahmen in Griechenland treffen auch die klassische Musik und große Orchester. Überall werden Sponsoren gesucht und das Misstrauen gegenüber dem Staat wächst

Griechenland befindet sich im achten Jahr der Rezession. Von den drastischen Sparmaßnahmen ist auch der Kulturbereich des Landes stark betroffen: Nach Angaben des griechischen Ministerium für Kultur und Sport wurde das Budget für Kultur in den letzten vier Jahren um knapp 50 Prozent gekürzt. Diese Entwicklung forciert immer stärker die Privatisierung eigentlich staatlicher Institutionen.

Nelly Ikonomidou steht vor der Tür des Musiksaals, in dem das Staatsorchester Athen seine morgendliche Probe abhält. Seit 28 Jahren spielt die Violinistin im Orchester. Ikonomidou ist die Präsidentin der gewerkschaftlichen Organisation der Musiker des Staatsorchesters. Die Frau Anfang fünfzig kennt sich aus mit den Zahlen, die die Existenz des Orchesters in seiner jetzigen Form gefährden.

Noch vor vier Jahren bekam das Orchester mehr als eine Million Euro pro Jahr an staatlicher Unterstützung. Bis heute wurde der Betrag auf 500.000 Euro gekürzt. „Auch die Gehälter der Musiker wurden fast um die Hälfte gesenkt“, berichtet Ikonomidou. Trotzdem müssen die MusikerInnen ihre Instrumente selbst kaufen und sind für die Instandhaltung verantwortlich. „Das können wir bei einer so drastischen Lohnsenkung nicht mehr lange tragen“, sagt sie.

Die Basis des Staatsorchesters Athen wurde Ende des 19. Jahrhunderts gelegt. An seinem ursprünglichen Auftrag, internationale klassische Musik unters Volk zu bringen, hat sich bis heute wenig geändert. Ob er allerdings auch in den folgenden Jahren bestehen bleibt, ist nicht mehr sicher. „Durch die ständigen Kürzungen können wir nichts mehr planen. Das führt vermutlich so weit, dass wir bald gar kein Programm mehr entwickeln können“, sagt Ikonomidou. Zudem werden Stellen in Rente gehender Musiker nicht mehr ersetzt. „Das bedeutet, dass wir bald so einige Lücken haben.“ Bei größeren Konzerten werden zwar temporär Musiker gebucht, „aber die Qualität ist nicht die gleiche. Ein Orchester muss zusammenwachsen, sich musikalisch kennenlernen.“

Ikonomidous langjähriger Kollege Kostas Avgerinos hat sich dazugesellt und nickt immer wieder zustimmend. „Durch die Gehaltskürzungen müssen wir uns auch in unserem Alltag immer stärker einschränken. Das Schlimmste daran ist diese ständige Unsicherheit“, so der 45-jährige Familienvater. Momentan bekommt das Orchester durch die deutsche Botschaft und die gemeinnützige Stavros-Niarchos-Stiftung finanziellen Zuschuss, denn allein durch die staatlichen Gelder könnte sich der Musikkörper schon lange nicht mehr halten.

Da eine schnelle Besserung der finanziellen Lage von Seiten des Staates nicht in Sicht ist, sollen verstärkt private Sponsoren das Orchester am Leben halten.

Das bestätigt auch Angela Gerekou, stellvertretende Kulturministerin der konservativen Regierungspartei Nea Demokratia. Der Kulturbereich könne nicht noch weiter einbüßen, sagt sie. „Wir wollen das Interesse zahlreicher Geschäftsleute, Stiftungen und Privatiers aus In- und Ausland wecken, die den Kulturbereich des Landes stützen, sodass kulturelle Veranstaltungen weiterhin gewährleistet sind“, so Gerekou. Violinistin Nelly Ikonomidou sieht eine Privatisierung als Gefahr: „Ein Privatier kann dann über uns verfügen. Der Auftrag, klassische, auch schwierige Musik unters Volk zu bringen, ist so nicht mehr gewährleistet.“

So einige Musiker wenden sich vom unbeständigen staatlichen System nun komplett ab und begeben sich ganz auf privaten Boden. Der 36-jährige Cellist Konstantinos Sfetzas gehörte fest zum Ensemble des renommierten Rundfunkorchesters der Sendeanstalt ERT. Doch im Juni 2012 wurden die ERT auf Anweisungen von Ministerpräsident Antonis Samaras über Nacht geschlossen – auch das Orchester. Zu viele Festangestellte, die nicht arbeiteten, seien hier beschäftigt, war eine der Hauptbegründungen. „Da ist sicher etwas dran – aber zweieinhalbtausend Menschen über Nacht zu entlassen, das ist doch keine Demokratie!“ Sfetsas ist noch immer fassungslos.

Knapp zwei Jahre nach der Schließung der ERT wurden zwar eine neue Rundfunkanstalt mit Orchester gegründet und einige der alten Musiker dort eingestellt. Aber Sfetzas spielt lieber im neu gegründeten privaten Metropolitan Symphony Orchestra of Athens (MSO). „Ich habe kein Vertrauen mehr in den Staat. Unser privates Orchester ist ein Versuch, dem staatlichen System zu entkommen“, sagt er. Doch auch für dieses Vorhaben braucht es Geld – ein Sponsor wird gesucht. Alle Musiker und der Dirigent werden bisher nicht bezahlt. Maria Kannelopoulou, Ministerin der Oppositionspartei Syriza und Zuständige für den Bereich Kultur, betrachtet diese Entwicklungen als Ausdruck des heutigen politischen Systems. „Das Land soll in eine rein gewinnorientierte Zone umgewandelt werden. Es geht hier nicht mehr um Bildung.“ THEODORA MAVROPOULOS