Getragen, fast majestätisch

POP Musik, die klingt wie der Vorspann eines frühen James Bond mit Sean Connery: Die Schauspielerin Nora Tschirner, ihre Band Prag und ihr zweites Album „Kein Abschied“, auf dem wieder Retro-Pop zu hören ist

Prag ignorieren bewusst die Errungenschaften des deutschen Pop der vergangenen zwei Jahrzehnte

VON THOMAS WINKLER

Sie knautscht zwar ihr Gesicht. Räkelt sich im Morgenmantel auf dem Bett. Und schüttelt das noch duschnasse Haar. Aber trotzdem spielt Nora Tschirner nur eine Nebenrolle. Denn die wahren Stars von „Film Noir“, dem neuen Videoclip ihrer Band Prag, sind zwei Pudel. Adrett frisiert lassen sie sich von Tschirner füttern, sie pinkeln an Strandkörbe, und wenn sie in Extremzeitlupe durch den vom Meer herangespülten Sand galoppieren, dann flattern ihre Zotteln in der frischen Brise. Ein großer Auftritt.

Verwöhnte Diva

Der Song „Film Noir“ und der Clip, der ihn als ein Lied über die Liebe zwischen Hunden interpretiert, sind Vorboten von „Kein Abschied“, dem nun erscheinenden zweiten Album von Prag. Und zudem in mehrfacher Hinsicht symptomatisch.

Denn die Schauspielerin Tschirner, neuerdings auch als „Tatort“-Kommissarin in Weimar unterwegs, stellt in dem Video zwar eine verwöhnte Diva dar und ist bei Prag sicher auch mehr als eine Statistin, aber versucht eben auch demonstrativ, nicht der Star der Band zu sein. Das allerdings gelingt natürlich nur bedingt: Auch wenn sie sich sichtlich zurückhält, auch wenn für das Songschreiben in erster Linie die beiden Bandkollegen Erik Lautenschläger und Tom Krimi verantwortlich zeichnen, während sie meist für Background-Gesang und Gitarrenspiel zuständig ist, bleibt Tschirner doch der Blickfang.

Was aber auf „Kein Abschied“ zu beobachten ist: Die Befürchtung, Tschirners Popularität als Fernsehgesicht könnte die Musik von Prag heillos überschatten, scheint bei der Band nicht mehr ganz so ausgeprägt zu sein wie noch anlässlich der Prager „Premiere“. Darf Tschirner doch diesmal nicht mehr nur zwei Mal, wie noch auf dem 2013 erschienenen Debütalbum, sondern sogar drei Mal ganz allein das Mikrofon übernehmen. Dann aber singt sie gar nicht so mädchenhaft, wie man angesichts ihrer Bildschirmpräsenz vielleicht vermuten könnte, sondern eher getragen, fast majestätisch.

Das gehört natürlich zum Konzept. Prag haben schließlich nicht ohne eigenes Verschulden den Stempel Retro-Pop aufgedrückt bekommen. Dem werden sie auch auf „Kein Abschied“ umfassend gerecht. Wieder orientieren sich Krimi, der als eine Hälfte des DJ- und Produzenten-Duos Stereo de Luxe bekannt wurde, und Lautenschläger, der mit der Band Erik & Me überschaubare Erfolge feierte, vor allem am prächtigen Klangbild klassischer Filmsoundttracks, wieder folgen sie den ausschweifenden Melodie-Linien von Chansons, und wieder haben sie diesen Sound nicht einfach im Computer nachgestellt, sondern ein Orchester engagiert, um diese Visionen aus vergangenen Zeiten umzusetzen.

Diesmal war es allerdings nicht das Tschechische Filmorchester aus Prag, das die Stücke auf „Premiere“ im Sinne der späten siebziger und frühen achtziger Jahre auspolsterte und der Band auch gleich den Namen gab. Auf „Kein Abschied“ spielt ein Krakauer Ensemble, aber ausreichend opak, bisweilen bombastisch sind die Arrangements trotzdem immer noch. So pompös und verschwenderisch, als wollten Prag neue Songs schreiben für den Vorspann der frühen James-Bond-Filme mit Sean Connery. Im Vergleich zum ersten Album sind die Beiträge der Krakauer vielleicht nicht ganz so üppig ausgefallen, aber manchem Lied verleihen sie dafür eine noch größere Dramatik.

Das passt, denn nicht nur im Titelsong werden Geschichten erzählt, die einerseits klassisch sind, andererseits so nah am Kitsch gebaut, dass man sie sich am besten in Cinemascope inszeniert vorstellt. Geschichten, in denen Frauen gehen, ohne sich zu verabschieden, in denen Männer ängstlich Treppen hinaufschleichen, oder geheimnisvolle Kellertüren darauf warten, geöffnet zu werden. Romantisch, aufwühlend, ein wenig geheimnisvoll sind diese Lieder, mit großen Worten für große Gefühle ausgestattet, und so klingen sie auch – nicht nur, weil ein ganzes Orchester mitspielt, weil die Streicher jubilieren und die Bläser Schleifen ziehen.

Prag ignorieren bewusst die Errungenschaften, auf die sich der deutsche Pop der vergangenen zwei Jahrzehnte etwas einbilden könnte. Noch ferner als die diskursive Kopflastigkeit der Hamburger Schule liegen ihnen Beats aus Techno oder moderne Einflüsse wie HipHop. Sie setzen auf die Macht der Melodie und die Universalität von Emotionen. Sie nehmen sehr wichtig, was sie da machen, aber federn den heiligen Ernst im letzten Moment dann doch mit einer feinen Ironie wieder ab. Notfalls, wenn, wie in „Film Noir“, die großen Gefühle an sich selbst zu ersticken drohen, müssen eben zwei Pudel einen Strand entlangtollen, das Fell im Wind flatternd.

■ Prag: „Kein Abschied“ (Tynska Records/Tonpool)

Live: 30. März, 20.15 Uhr, C-Club, Tempelhof