RESTAURIERUNGSBEDÜRFTIGE KACHELN UND ein WELTBERÜHMTEs SPORTIDOL AUF DER INSEL DES EWIGEN FRÜHLINGS
: Die himmlische Beule

Globetrotter

ELISE GRATON

Im katholischen Portugal wird derzeit eine leibhaftige Gottheit aus Fleisch und Blut verehrt. Ein Gott, der gerade zum dritten Mal mit dem Ballon d’Or ausgezeichnet wurde und damit in den Olymp der wenigen Fußball-Ikonen aufsteigt, die es zu mehr als zwei Balltrophäen bringen. Seit etwas über einer Woche steht nun fest: Cristiano Ronaldo, 1985 in Funchal auf der portugiesischen Atlantikinsel Madeira geboren, ist erneut Weltfußballer des Jahres!

In Funchal, der 130.000 Einwohner zählenden Inselhauptstadt, steht am Ende der Hafenpromenade, zwischen dem Anleger für monströse Kreuzfahrtschiffe und einer vierspurigen, von hohen Felsen überragten Schnellstraße, Cristiano Ronaldo breitbeinig gegen den Wind gestemmt und begrüßt TouristInnen. Seine imposante Bronzestatue wurde kürzlich feierlich eingeweiht. Eine Britin springt kreischend aus dem Bus, rennt auf die Plastik zu und verschlingt sie geradezu lüstern mit den Augen. Ihr Freund trottet hinterher und macht Selfies von sich und seinem bronzenen Idol.

Eigentlich von sich und der Lendengegend seines Idols, denn die prachtvoll überhöhte Ausbeulung in der maskulinen Fußballerhose sticht einem als Erstes ins Auge. Böse Zungen meinen, es handele sich um subliminale Schleichwerbung für Ronaldos Unterwäschekollektion, für die er samt Waschbrettbauch auch persönlich Model steht. Kaum 45 gejoggte Minuten entfernt, in dem nach ihm benannten „CR-7-Shop“ seiner Schwester, kann man eine ganze Schrankwand seiner sexy Slips bestaunen. Ansonsten veredelt sein Markenzeichen hauptsächlich Frauenmode, die sich durch Mustervariationen wilder Tiere auszeichnet. Drei schicke Madeirerinnen kommen an der Statue vorbeigeschlendert. Ihre Begeisterung hält sich in Grenzen: „Schauen Sie sich mal die Blumenbeete hier an: total ausgetrocknet. Und alles voller Zigarettenkippen!“ Eine Schande, ausgerechnet auf „der Insel des ewigen Frühlings“. Ob die Damen auch der Meinung sind, die Statue sehe Ronaldo nur bedingt ähnlich? „Vielleicht die Nase, die Lippen und ein wenig die Frisur lassen ihn schon erahnen.“ In Action fänden sie ihn besser, so steif breitbeinig sehe er doch eher wie ein Torwart aus. Aber, da sind sich die Ladys einig, den echten Ronaldo trügen sie in ihrem Herzen. „Wie die ganze Welt!“ Drei Mädchen an der Bushaltestelle gegenüber sind da anderer Meinung: „Der ist doch total eingebildet“, zischt eine durch ihre Zahnspange.

Zeit für eine Bica (den portugiesischen Espresso) in der Eckkneipe. Stolz auf den Lokalhelden? „Puuuuuhhh“, winken die Männer am Tresen ab. „Der soll erst mal der Insel etwas von seinen Millionen abgeben“, meint einer. „Zum Beispiel für neue Straßen“, ergänzt ein anderer. „Oder für ein neues Gehirn für dich. Würde nicht schaden“, unterbricht ihn der Wirt.

Oder vielleicht für das unweit liegende Franziskanerkloster Santa Clara? Im 16. Jahrhundert errichtet, birgt es aufwendig bemalte Decken, 500 Jahre alte Azulejos, religiöse Reliquien – wunderschön, größtenteils aber in restaurierungsbedürftigem Zustand. Eine Besichtigung des Glockenturms steht leider nicht auf dem Programm: zu gefährlich wegen des morschen Holzbodens. „Alle beschweren sich hier ständig“, sagt mir die Führerin. „Aber es ist nicht Ronaldos Aufgabe, für die Restaurierung des heimatlichen kulturellen Erbes aufzukommen.“ Sondern die des Staates, nur der sei pleite. Daraufhin öffnet sie eine Lade und gibt den Blick auf ein Gemälde des blutüberströmten Jesus frei. „Das hat eine unserer Nonnen selbst gemalt.“

Im durchdesignten Cristiano-Ronaldo-Museum werden Pilger von unzähligen Medaillen, Pokalen, Devotionalien und prachtvollen Glasvitrinen voller Fanpost empfangen. Würde man ihn nicht kennen, es wäre schwer, sich hier ein Bild von Ronaldo zu machen. Auf einer Zeichnung sieht er eher wie Robben aus, auf einer anderen gleiten die Gesichtszüge in Richtung Justin Bieber. Das über allem thronende Porträt in Öl erinnert mit seinen weit aufgerissenen Augen an Courbets Selbstbildnis „Der Verzweifelte“ aus dem Jahr 1841.

Im angegliederten Museumsshop gibt es dann neben den zu erwartenden Tassen, T-Shirts und Stiften auch ein vom Meister selbst signiertes Trikot. Fehlt nur eine Muhdose, die beim Umdrehen den Ronaldo-typischen Urschrei krachen lässt – nur so als Marketingidee.

Den Siegeslaut hat er auch bei der Verleihung seines dritten Ballon d’Or von sich gegeben, der natürlich auch noch fehlt. Doch schon Ende nächster Woche soll der Pokal im Rahmen einer öffentlichen Zeremonie einen festen Platz im Schrein neben seinen zwei Vorgängern finden. Die madeirischen Fans werden sicherlich auf Wolke sieben schweben, wenn die Fußballikone bei der Gelegenheit leibhaftig erscheint und seiner Heimat einen Besuch abstattet.

■ Elise Graton ist freie Journalistin und Übersetzerin in Berlin