In einer imaginären Zeit

POP Dank seines krankhaften Ehrgeizes veröffentlicht Patrick Pilsl alias Martin Dean mit „Dr. Blue and Mr. Gold“ nach zehn Jahren ein neues Album – es bietet bekömmlichen Lounge-Funk und Easy-Listening-Sound

„Es geht um Geschmack. Es geht um künstlerisches Erbe“

YOYO RÖHM

VON THOMAS MAUCH

Und wieso nicht auch mal die großen Fragen: Wo landet man zum Beispiel, wenn man aus der Zeit gefallen ist?

Da hätte man jetzt etwa ein Lied, das sich, so, wie es einen rührt und schüttelt, dringlich als Bewerbungsschreiben anbietet, doch bitte sehr als Titelsong für den nächsten „Bond“-Film eingesetzt zu werden – einem Bond, in dem noch Sean Connery als der unverwüstliche Agent im Dienste Ihrer Majestät wirkt.

Nun kann man sich fragen, ob das mit dem Lied denn schlechtes Timing ist, nachdem dieser Connery bereits 1971 seinen Bond-Dienst quittierte.

„Hang Them High“ heißt dieses Lied. Es findet sich auf dem neuen Album von Martin Dean, das wiederum „Dr. Blue and Mr. Gold“ betitelt ist und, nun ja, nicht gerade aktualitätsversessen geworden ist und sich nicht sonderlich hervortun möchte beim Aufgreifen von modischen Trends im gegenwärtigen Pop.

„Musikalisch befindet sich das Album in einer imaginären Zeit“, sagt dazu Yoyo Röhm, der musikalische Begleiter von Martin Dean. Röhm muss dann dieser Dr. Blue des Albumtitels sein, weil der Mr. Gold doch wohl Martin Dean ist mit seiner samtigen und einschmeichelnden Crooner-Stimme, von der man erstmals vor ziemlich genau einem Jahrzehnt gehört hat – mit dem ersten Album von Martin Dean. Kokett wurde das von den beiden gleich „The Best of“ genannt.

Und erst jetzt also, immerhin zehn Jahre später, das zweite Album? „Das liegt an meinem krankhaften Ehrgeiz“, erklärt Patrick Pilsl alias Martin Dean, der Sänger, wiederum kokett diese einigermaßen beträchtliche Zeitspanne zwischen diesen beiden Alben. Aber erstens, man muss es zugeben, nötigte nun nicht gleich einen riesenhafter Erfolg des Erstlings sofort einen zeitnäheren Nachfolger ab. Und zweitens ist das mit der Zeit bei dem Martin-Dean-Projekt sowieso eher relativ. Außerdem dauert es halt auch mal ein bisserl länger, wenn man so ein Album selber produziert, ohne ein Label im Rücken, und daneben noch genug anderes zu tun hat. Sein Leben zu finanzieren, zum Beispiel.

Patrick Pilsl, Jahrgang 1964, arbeitet so unter anderem als Barkeeper, und er macht Kunst, eine Art Miniaturmalerei, in der es ihm darum geht, wie er sagt, „von der Hetze der Zeit wegzukommen“. Yoyo Röhm, Jahrgang 1965, Multiinstrumentalist und langjähriger musikalischer Begleiter von Ben Becker, schreibt Filmmusik und wirkt hier und da mit, unter anderem vor Kurzem als Bassist beim Gainsbourg-Projekt von Mick Harvey.

Bei dem so etwas in die Länge gezogenen Produktionsprozess von „Dr. Blue and Mr. Gold“ wurde dann Stück für Stück durchaus auch geklotzt, with a little help von befreundeten Musikern aus dem Kosmos der Einstürzenden Neubauten etwa. Alexander Hacke machte bei einigen Titeln mit und Jochen Arbeit. Toby Dammit, der Iggy-Pop-Schlagzeuger, schaute vorbei, Carl Carlton spielte Gitarre. Reihenweise Gastsängerinnen sind zu hören und viele Gastsänger, reichlich Hammondorgel, ein Vibrafon und sogar eine singende Säge. Es gibt einen Bläsersatz und bei drei Titeln für das noch etwas erhabenere Hören auch das Deutsche Filmorchester Babelsberg.

Das alles ist dann geschmackvoll und mit der rechten Übersicht in Ordnung gebracht bei den insgesamt elf Titeln des Albums, die es natürlich nie und nimmermehr in eine Hitparade von, sagen wir mal: 1971 schaffen werden, auch wenn sie allemal das Zeug dafür hätten mit dem Soul, dem Lounge-Funk und dem angeschärften Easy-Listening wie in den frühen (und besseren) Tom-Jones-Nummern. Es gibt Crooner-Balladen aus der Nat-King-Cole-Klasse und überhaupt eine Eleganz und und musikalische Aufmerksamkeit mit dem Schmelz und dazu dem Schmackes, wie man das mal etwa bei den Walker Brothers hörte oder auch den Sandpipers. Andererseits wollen diese Lieder überhaupt nicht verstecken, dass man im Hause Martin Dean die Songs eines Nick Cave sehr zu schätzen weiß.

Weiche Landung nach dem Fall

„Es geht um Geschmack. Es geht um künstlerisches Erbe“, sagt Yoyo Röhm. Was dann so doch eben ganz gegenwärtige Fragen sind. Und mit all diesen Anknüpfungspunkten und Referenzen ist die Musik von Martin Dean ja gar nicht aus ihrer Zeit gefallen. Wenn man aber unbedingt auf das Purzeln besteht: Man darf sich sicher sein mit „Dr. Blue and Mr. Gold“, dass diese Musik einen im Fallen weich auffängt. Ausprobieren kann man das am Samstag im Privatclub, wenn dort das Album live vorgestellt wird. In einem kleinen Ensemble: zusammen mit den Gastsängern und den Bläsern werden dann wohl neun Leute auf der Bühne stehen.

■ Martin Dean: „Dr. Blue and Mr. Gold“ (Music Agents) | live: 7. 2., Privatclub, 19 Uhr, 12 Euro