Cover in freier Wildbahn

In freier Wildbahn kommt die Coverversion vor allem in Zugabenblöcken vor. Dort fristet sie ein bescheidenes Dasein als billige Mitklatschnummer oder abtörnender Rausschmeißer. Moderne Züchtungen der Coverversionen heißen Remixe und leiden oft an der unschönen Mutation Kirmes-Beats. Selten sind gelungene Coverversionen noch im Zoo zu besichtigen, ein paar besonders seltsame Exemplare hegte unlängst der bekannte Tierpfleger Bob Dylan.

Yellow Bird haben sich bereits nach einem uralten Song benannt, den sie auf ihrem Debütalbum „Sing“ auch nachspielen. Diese Coverversion klingt eher einfühlsam als unerwartbar, und das hat sie gemeinsam mit den vielen Coverversionen, die Yellow Bird neben ein paar Eigenkompositionen auf „Sing“ versammelt haben. Nun schnauft der bald schon einhundert Jahre alte „Freight Train“ zwar nicht so sehr, swingt dafür aber luftig und locker, der alte Country-Kracher „Oh, Lonesome Me“ und Hank Williams’ „Your Cheatin’ Heart“ werden wie schwerelos hingetupft. Die Band um die schon lange Zeit in Berlin lebende Amerikanerin Manon Kahle würdigt die traditionellen Einflüsse aus Roots Music und Americana, setzt sie aber mit einer eindeutig aus dem Jazz stammenden Haltung um. So bekommen die Folk- und Country-Klassiker eine Leichtigkeit, die Traditionalisten irritieren dürfte, aber den Songs guttut.

Irritierend ist auch, was sich Marceese vorgenommen hat. Der Berliner Singer-Songwriter will alle Songs von Kiss aus ihrer kreativsten Zeit, den siebziger Jahren, aufnehmen. Nach einem ersten, 2013 erschienenen Album mit Coverversionen legt er mit „Have Love, Will Travel“ nun die zweite Folge dieser nachgerade epischen Unternehmung vor. Die Ironie der Werkschau ist natürlich: Ausgerechnet ein Sänger aus dem der ichbezogenen Authentizität verpflichteten Liedermachergenre nimmt sich die Songs einer Zirkustruppe vor, die durch exaltierte Kostüme und dicke Schminke und nicht durch musikalische Fertigkeiten oder bekenntnishafte Texte berühmt wurde. Das Experiment endet erstaunlich: Die Songs von Paul Stanley und Gene Simmons wirken in denkbar spartanischer Akustikgitarrenbegleitung zwar durchweg substanzieller als im Original, enthüllen dafür aber bisweilen einen unfreiwilligen Humor. Und jetzt alle zusammen: „I wanna rock and roll all night, and party every day!“

THOMAS WINKLER

■ Yellow Bird: „Sing“ (Enja/ Yellowbird/ Soulfood), 22. 2., Roter Salon

■ Marceese: „Have Love, Will Travel“ (Timezone), 24. 2., Madame Claude, 27. 2., Wohnzimmerclub