Die Tugend der Anpassung

ARCHITEKTUR Lernen zwischen Autoreifen, auf dem Wasser oder am Strand – man kommt ziemlich weit rum in der Ausstellung „Klasse Schule – So baut die Welt“ in der ifa-Galerie. Je mehr man sieht, desto mehr will man wissen

Der Fokus liegt auf den Materialien, der Einbeziehung von lokalen Handwerkern und Techniken

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Aus der Ferne sieht es aus wie ein großes Abenteuer: zur Schule gehen in Puerto Cabuyal, einem kleinen Fischerdorf in Ecuador. Da steht die Grundschule Nueva Esperanza aus Bambus und Palmblättern nämlich am Strand. In China, in der Provinz Fujian, hängen die Räume der Brückenschule über einem Fluss; in Lagos, in Nigeria, schwimmt die Schule Makoko gar auf blauen Plastiktonnen im Wasser einer Lagune.

Für 60 bis 100 Schüler bietet Letztere in einer spitzen Giebelkonstruktion Platz, mit einem begrünten Pausenhof gleich über den Fässern, mit vier Klassen- und zwei Werkstatträumen auf den Etagen darüber. Photovoltaik-Zellen lassen den Giebel blau leuchten. Auf den Fotos, mit denen die schwimmende Schule in der Ausstellung „Klasse Schule – So baut die Welt“ in der ifa-Galerie vorgestellt wird, ist das Wasser der Lagune stets von Wellen bewegt, und man denkt sich ein sanftes Schaukeln zu allen Bildern hinzu.

Ohne Strom und Wasser

Aber es ist weniger die Lust am Abenteuer, die zu diesen architektonisch ungewöhnlichen Lösungen geführt haben, als vielmehr der jeweilige Versuch, sich Notwendigkeiten der Infrastruktur anzupassen, Ressourcen-schonend und günstig zu bauen.

So ist die Grundschule Nueva Esperanza, die 2009 vom Architekturbüro Al Borde Arquitecos aus Quito geplant wurde, für einen Standort ohne Strom- und Wasseranschluss entwickelt worden. Die Konstruktion konnte von den Dorfbewohnern selbst gebaut werden; bald darauf übernahmen sie die Form für weitere Häuser im Dorf. Auf den Fotos aus dem Schulraum sieht man Kinder über die Holzplanken springen und Regale mit Schulmaterialien zeugen von einer intensiven Nutzung. Licht und Luft kommt durch die beidseitigen Öffnungen im Dach aus Palmblättern.

Für die Brückenschule in Xiashi erhielt der Architekt Li Xiadong aus Peking 2010 den renommierten Aga Khan Award. Sie verbindet zwei alte Lehmrundbauten auf beiden Seiten des Flusses und knüpft in der Zickzackwegführung an die Tradition von Garten- und Brückenbau in China an. Die Wände, mit dünnen Lamellen aus Holz gebildet, sind lichtdurchlässig; die Räume innen offen für verschiedene Nutzungen. Zu den Ufern hin können sie geöffnet werden, sodass die Schulräume dann als Bühne für Konzerte oder Theater genutzt werden können. So hat das Dorf Xiashi mit der Schule, die sich vor der Tradition verneigt, zugleich ein Kulturzentrum bekommen.

In Makoko gaben Schwächen der Infrastruktur in der Lagune, die oft von Überschwemmungen bedroht ist, den Anstoß, mit der Schule selbst aufs Wasser zu gehen. Ein Büro aus Nigeria plante zusammen mit niederländischen Architekten. Klar, die Schüler müssen mit Booten kommen; ihr Schulweg bleibt nicht einfach.

20 internationale Beispiele von Schulen, die nach 2000 entstanden sind, stellt das Institut für Auslandsbeziehungen in seiner Ausstellung vor; dazu kommen aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert einige historische Schulbauten, die mit Reformideen verknüpft waren, wie etwa die Waldschule von Walter Spickendorf in Berlin-Charlottenburg. Sie wurde 1904 als eine Art Schulsanatorium erdacht. Auf alten Fotos sieht man die Kinder auf Liegestühlen in der Sonne, in Klassenräumen, die zum Wald hin offen waren, bei der Gartenarbeit oder auf dem Rasen sitzend lernen.

Alphabetische Ordnung

Ausgestellt sind die Schulen mit Fotografien, einem Modell und Skizzen in kleinen Kojen, die mit alphabetisch geordneten Stichworten versehen sind. Die Waldschule ist unter G wie Gesundheit eingeordnet, unter F wie Fluss und Floß die schwimmende Schule, unter N wie Natur finden sich ausgerechnet die beiden Konkurrenten unterschiedlicher Lernmodelle Waldorf- und Montessorischule eng nebeneinander. Architekturklassen von Universitäten in Stuttgart und Innsbruck haben dieses Ausstellungsdesign entwickelt, das zwar mit dem Alphabet an schulisches Lernen anknüpft, den einzelnen Projekten aber nur wenig Raum für die Darstellung lässt.

Oft würde man gern mehr über den Schulalltag erfahren, vom Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden, wie sie mit den räumlichen Angeboten umgehen. In ihrer ästhetischen Sprache sind die meisten Projekte überzeugend; in den begleitenden Texten liegt der Fokus oft auf den Materialien und der Baugeschichte, der Einbeziehung von lokalen Handwerkern und Techniken. In dieser Hinsicht haben sie Vorbildcharakter – und das ist sicher auch das, was das Spannendste für Studierende der Architektur ist.

Davon erzählt auch in einem kurzen Filmbeitrag (für das ZDF/3sat) Diébédo Francis Kéré, der in Berlin ein Büro hat und von 1999 bis 2001 eine Schule in Gando, dem Dorf, in dem er aufgewachsen ist in Burkino Faso, gebaut hat. Man sieht die Frauen des Dorfs den Lehmboden glätten, Männer die Ziegel herstellen. Kéré ist mit dieser Schule zu einem Pionier eines architektonischen Denkens geworden, das traditionelle Techniken mit neuen konstruktiven Lösungen verbindet, zum Beispiel, was die Luftzirkulation, die Kühlung und das Klima angeht. Er ist auch der Architekt des Operndorfs von Christoph Schlingensief, das in Burkina Faso entstanden ist und wächst.

Mit wenigen Schritten

Auch in anderen Kojen sind kurze Filmausschnitte zu sehen, zum Beispiel aus dem Weltspiegel. Tatsächlich beginnt der Gang durch die Ausstellung bald an dieses Fernsehformat zu erinnern; man ist mit wenigen Schritten von einer Schule in Ostjerusalem, in einem besetzten palästinensischen Gebiet, deren Wände aus alten, mit Erde gefüllte Autorreifen gebildet werden, weil gesetzliche Auflagen die Verwendung von Zement verbieten, zur Maria-Grazia-Cutuli-Grundschule in Afghanistan gelangt, deren blaue Kuben von einer blauen Mauer umgeben sind. Die Schule wurde von einer Stiftung gebaut, die den Namen einer italienischen Journalistin trägt, die 2001 in Afghanistan ermordet wurde. Ein Foto zeigt die Schule von Weitem, mit einer kleinen roten Tür in der hohen Grenzmauer, die zum Schutz der Schule notwendig ist.

So berührt die Ausstellung mit vielen der vorgestellten Projekte große politische und soziale Probleme. Davon ist man beim Rundgang oder auch beim Lesen im Katalog manchmal etwas überfordert. Die Architektur allein kann sicher keine Antwort auf alle jeweils vor Ort anstehenden Konflikte geben. Aber dennoch vermittelt die Ausstellung eine gute Vorstellung davon, wie unterschiedlich und sensibel Architektur auf die Verhältnisse vor Ort eingehen kann. Nicht standardisierte Modelle sind gefragt, sondern genaue Kenntnisse der jeweiligen Situation.

■ ifa-Galerie, Di.–So. 14.00 bis 18.00 Uhr, bis 5. April.

■ Am 26. März um 18 Uhr stellt sich das Projekt Schulraumforschung vor, für das Schüler zweier Berliner Gymnasien in Hohenschönhausen und Grunewald ihre Wahrnehmung von Architektur beschreiben