Kolumne Press-Schlag: Wenn Weltbilder ins Wanken geraten

Das große Sorgenmachen in der Bundesliga könnte dazu führen, dass man sich bald Sorgen um sich selbst machen muss.

Der Vorteil des Fußballs ist, dass er zu den nicht allzu vielen Lebenswelten gehört, die sich recht bequem in Gut und Böse einteilen lassen. Antipathien verjähren normalerweise nicht, erst recht nicht gegen einen Verein, der es sich gefallen ließ, sehr lange von Gerhard Mayer-Vorfelder regiert zu werden. Da können diverse Generationen junger Wilder nichts dagegen ausrichten.

Umso erschütterter war ich am Sonnabend, als mein zugegebenermaßen äußert unoriginelles Anti-Stuttgart-Weltbild Risse bekam. Ich habe mich nämlich sehr darüber gefreut, dass der VfB Bayer Leverkusen irgendwie mit 1:0 geschlagen hat. Nicht, dass ich Mitleid bekommen hätte mit den in den vergangenen Wochen teilweise gedemütigten Meisterkickern. Was mich freute, war eher die vage Aussicht darauf, dass mir vorerst diese fast schon klassische Krisenberichterstattung über tief gefallene Klubs erspart bleiben könnte. Die populistischen Kommentatoren gehen mir in solchen Situationen ebenso auf die Nerven wie die differenziert zur Sache gehenden Analysten, die den Eindruck vermeiden wollen, sie beteiligten sich nicht an der Panikmache. Bei den klugen Köpfen liest man dann beispielsweise, dass man im Verein zumindest äußerlich noch die Ruhe bewahre und dass der Trainer, der ja auch eigentlich gar nicht so viel falsch gemacht habe, fachlich noch unumstritten sei, es aber wohl zu öffentlichen Diskussionen kommen werde und sich mittelfristig eh keiner wehren könne gegen die branchenüblichen "Automatismen" oder "Mechanismen", die die Autoren solcher Texte eigentlich eher ungut finden. Abgerundet wird das Bild durch Äußerungen von anonymen Stinkstiefeln, deren Meinung in Artikeln dann gern unter "Umfeld des Vereins" subsumiert wird.

Der Überdruss über derlei Untergangsberichterstattung hatte schon in der letzten Saison dazu geführt, dass mich unerwünschte Gefühle übermannten: Dem HSV ging es in der ersten Halbserie unter Thomas Doll ungefähr so schlecht wie dem VfB in den letzten Wochen, und damals hoffte ich, der HSV, dem ich bis dato wahrlich wenig Liebe geschenkt hatte, möge sich unter Doll aus dem Elend befreien, damit man endlich nicht mehr lesen, sehen und hören muss, wie jedes Wochenende wieder die Trainerfrage aufgeworfen wird. Im Übrigen ist es ja erstaunlich, dass nach Bayer Leverkusens Beinahe-Abstieg 2003 - im Jahr nach dem Champions-League-Endspiel gegen Real Madrid wurde der Klub so gerade Fünfzehnter - derartige Einbrüche noch zur Sensationalisierung taugen.

Nun befürchte ich, bald positive Gefühle für einen Geht-gar-nicht-Verein entwickeln zu müssen, etwa für einen der höllischen K-Clubs (Kaiserslautern, Karlsruhe, Holstein Kiel). Vielleicht muss ich mir Sorgen um mich machen.

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