Im Würgegriff der Yakuza

SUMO-RINGEN Der japanische Traditionssport steckt in einer schweren Krise. Die Kämpfer scheitern reihenweise an den hohen moralischen Standards, die sie zu erfüllen haben

„Viele Sumotori haben Yakuza-Paten, die ihnen unter der Hand Geld zustecken“

YAKUZA-EXPERTE JAKE ADELSTEIN

AUS TOKIO MARTIN FRITZ

In dieser Woche ist Japan im Fernsehen um eine beliebte Sportattraktion ärmer: Erstmals seit 1953 verzichtet der öffentlich-rechtliche Sender NHK auf die Liveübertragung eines nationalen Sumo-Turniers am Nachmittag. Tausende von Zuschauern hatten den Verzicht gefordert, nachdem direkte Verbindungen zwischen dem Sumo-Sport und japanischen Yakuza-Gangstern bekannt geworden waren. „Sumo erlebt eine Jahrhundertkrise“, meinte NHK-Chef Shigeo Fukuchi. So nahe am Abgrund stand der jahrtausendealte Nationalsport nach Haschischrauchen, angeblichen Kampfabsprachen und dem Trainingstod eines Ringerschülers noch nie.

Mindestens 27 Sumotori und Trainer aus 13 Sumo-Ställen gehörten zu einem illegalen Glücksspielring für Baseballwetten – ein Riesengeschäft für die Yakuza: Einzelne Spieler setzten je Wette oft fünfstellige Summen in Euro ein. Ein Exringer, der für die Yakuza arbeitet, wurde festgenommen, weil er den Ringer Kotomitsuki, der den zweithöchsten Sumo-Rang eines Ozeki bekleidet, mit dessen Wettleidenschaft erpresst haben soll.

Von 700 aktiven Ringern haben 65 Gewinnspiele um Geld zugegeben. Sogar der einzige Großmeister Hakuho, ein Mongole, ist involviert. Der Yokozuna räumte Kartenspiele mit anderen Ringern mit Einsätzen von mehreren 10.000 Yen (90 Euro) ein. Das klingt nach einer Petitesse, doch von hochrangigen Sumotori erwartet die Gesellschaft ein vorbildliches Verhalten, weil der Sport seine Wurzeln in der Shinto-Naturreligion hat. In Japan sind Geldwetten nur bei Pferderennen und einigen Motorsportarten erlaubt. Einzeltätern drohen Geldstrafen, Gewohnheitsspielern eine Haftstrafe von bis zu drei Jahren.

Die Polizei durchsuchte letzte Woche rund 30 Unterkünfte und Trainingsplätze der Ringer. Einige Sumotori konnten verräterische Mails auf ihren Handys, mit denen sie ihr Tipps übermittelt hatten, vorher löschen. Zuvor war bekannt geworden, dass über 50 Mitglieder des Yamaguchi-Syndikats von einem Sumo-Schulleiter teure Karten für Sitzplätze nahe dem Sumo-Ring kaufen konnten. So machten sie ihrem Bandenchef, der hinter Gittern sitzt, über die Fernsehkameras ihre Aufwartung.

Bei dem laufenden Turnier in Aichi nahe Nagoya steht auf Schildern am Eingang, dass Gangster nicht als Besucher zugelassen sind. Auch im Stadion selbst wird dieses Verbot durchgesagt. Die Polizei zeigt eine auffällige Präsenz. Hunderte Fans hatten ihre Eintrittskarten aus Protest zurückgegeben, sodass der Eröffnungstag eines Turniers erstmals nicht ausverkauft war. Zum Auftakt stand der Interims-Chef des Sumo-Verbandes, der frühere Staatsanwalt Hiroshi Murayama, mit neun Ringern auf dem sandigen Kampfplatz und entschuldigte sich: „Dieses Turnier soll ein frischer Anfang für die Reformen im Sumo sein“, versprach Murayama.

Die Enthüllungen lassen die Sumo-Geldquellen austrocknen. Die TV-Rechte bringen dem Verband ein Viertel seiner Jahreseinnahmen von umgerechnet 90 Millionen Euro ein. Der Nudel- und Suppenfabrikant Nagatanien, mit 100.000 Euro der wichtigste Turniersponsor, zog sich zurück. Auch der Druckerkonzern Fuji Xerox, die Lebensversicherung Asahi und Coca-Cola unterstützen das Sumo-Turnier nun nicht mehr.

Erst unter dem Druck von Politik und Presse hatte der Sumo-Verband, der wegen seiner Intransparenz am Pranger steht, eine interne Untersuchung eingeleitet. „Der Verband muss seine Verbindungen zu antigesellschaftlichen Gruppen kappen“, verlangte Sportminister Tatsuo Kawabata – das Wort Yakuza wird in Japan genauso vermieden wie Voldemort bei Harry Potter. Vorm Turnier wurden der erpresste Kotomitsuki sowie der Chef seines Ringerstalls auf Lebenszeit vom Sumo suspendiert. Die Verbandsführung übernahm erstmals ein Außenstehender. 18 Ringer dürfen an dem Turnier in Nagoya nicht teilnehmen. Auch einen Siegerpokal wird es nicht geben.

Die Verbindungen zwischen den Ringern und Japans Gangsterbanden haben eine lange Tradition. „Viele Sumotori haben Yakuza-Paten, die ihnen unter der Hand Geld zustecken“, berichtet der US-Yakuza-Experte Jake Adelstein. Exringer würden als Leibwächter für Gangster arbeiten. Doch erst jetzt gehe die Polizei dagegen vor.