Große Köfferchen

SPORTBETRUG Der gekaufte Aufstieg von Hércules Alicante könnte ein juristisches Nachspiel haben

MADRID taz | Der womöglich größte Bestechungsskandal in der Geschichte des spanischen Profifußballs soll nicht im Sande verlaufen. Die spanische Staatsanwaltschaft hat gegen die Entscheidung des zuständigen Ermittlungsrichters, den Fall nicht weiter zu untersuchen und auch nicht an die Sportgerichte weiterzuleiten, Widerspruch eingelegt. Denn bei dem mutmaßlich erkauften Aufstieg des Vereins Hércules Alicante in die Primera División seien auch Sportwetten beeinflusst worden, meinen die Staatsanwaltschaft und die staatliche Sportaufsicht.

Die Tageszeitung El País berichtet seit Tagen von Abhörprotokollen des Bauunternehmers Enrique Ortiz. Dessen Telefongespräche wurden eigentlich wegen der Korruptionsaffäre um die örtliche Müllabfuhr abgehört. „Ich habe ihm 100.000 Euro gegeben. Beim ersten Tor von Tote hat er sich in die andere Ecke geworfen. Das war der Wahnsinn!“, so brüstet sich der Mehrheitsaktionär von Hércules Alicante, Enrique Ortiz, in einem Telefonat damit, den Torwart des Konkurrenten CF Córdoba, Raúl Navas, bestochen zu haben. Alicante gewann das Spiel mit 4:0.

Der Verein benötigte in den letzten Spielen jeden Punkt. Am Ende der Saison stieg er nur wegen des besseren Torverhältnisses auf. Ortiz erzählt in den Protokollen enttäuscht, wie er zunächst die gesamte Mannschaft Córdobas mit 300.000 Euro bestechen wollte. Aber: „Sie brauchen die Punkte selbst und verkaufen sich nicht. Da haben wir uns den Torwart vorgenommen und ihm 100.000 gegeben.“

Der Skandal beschränkt sich nicht auf ein einziges Spiel. Mindestens vier Begegnungen soll der Hércules-Eigner gekauft haben. Mutmaßlicher Mittelsmann zu den gegnerischen Spielern war dabei stets Kapitän Jorge López, genannt „Tote“. Der rechtfertigt ein mageres 1:1 im Spiel gegen Girona in einem Telefonat mit Ortiz damit, dass die übrigen Aufstiegsaspiranten den gegnerischen Spielern insgesamt 300.000 Euro angeboten hatten und auch für das Unentschieden noch die Hälfte zahlten. „Das ist Krieg“, sagt Tote. Daraufhin befragt Ortiz seinen Kapitän zum nächsten Gegner aus Huelva: „Da hast du doch Freunde, oder?“ Ortiz hat in dieser Saison offenbar eine Praxis auf die Spitze getrieben, die in Spanien als „die Köfferchen“ bezeichnet wird. Dabei werden andere Mannschaften für Siege gegen Ligakonkurrenten belohnt.

Alle Beteiligten weisen die Vorwürfe zurück. Tote, von dem El País sogar SMS-Mitteilungen an Ortiz mit der Aufforderung, Gegner zu bezahlen, dokumentiert, zeigt sich gelassen. Die Vorwürfe seien nicht zu beweisen. Hércules de Alicante teilt mit: „Weder der Verein noch die Aktiengesellschaft noch ein Mitglied hat sich einer illegalen Handlung schuldig gemacht.“

Dieser Ansicht schließt sich auch José Luis de la Fuente an, der Ermittlungsrichter in Alicante. Fußballergebnisse zu kaufen sei nicht strafbar, lässt er mitteilen. Erst mit einer ab Dezember gültigen Strafrechtsreform wäre der Sportbetrug eine Straftat.

Die spanische Staatsanwaltschaft sowie die Aufsichtsbehörde der spanischen Regierung für Sport wollen den Skandal nun als Betrugsfall weiterverfolgen. Denn mit dem mutmaßlichen Kauf von Fußballergebnissen seien ja auch zahlreiche Beteiligte an Sportwetten geschädigt worden. HANS-GÜNTER KELLNER