Hackordnung? Hahaha!

CHAMPIONS LEAGUE Nach dem 2:2 gegen Tottenham Hotspur darf Werder Bremen feststellen: Die Demokratisierung des Mittelfelds ist erfolgreich abgeschlossen

BREMEN taz | Werders neuer Mittelfeldspieler Wesley ist zu kurz in Bremen, um die Hackordnung schon verinnerlicht zu haben. Nichts ahnend stellte er sich nach dem 2:2 zum Champions-League-Auftakt gegen Tottenham Hotspur den Fragen der schreibenden Presse – um mitten im ersten Satz vom hinzueilenden Mediendirektor Tino Polster unterbrochen zu werden. Erst sei das Fernsehen dran.

Auf dem Platz sind Erbhöfe in Bremen dagegen abgeschafft. Da wird die Hierarchie ständig durcheinandergewirbelt, weil wieder ein Platzhirsch von dannen gezogen ist. War Johan Micoud noch „le Chef“ mit klarem Führungsanspruch, verbreitete schon sein Nachfolger Diego als „Zaubermaus“ nur noch wenig Angst und Schrecken. Mit Boygroup-Vorsänger Mesut Özil verschwand der Typus des dominanten Spielgestalters gänzlich.

Die Verpflichtung von Wesley schließt dieser Demokratisierungsprozess ab. Im aktuellen Werder-System wird die Führungsposition bei fast jedem Angriff neu besetzt. Die Devise lautet: Ordnung nach hinten, Flexibilität nach vorne. Dafür ist der Brasilianer die ideale Ergänzung. Er kann auf jeder Position im Mittelfeld eingesetzt werden und erkennt schnell, wo er die Akzente setzen muss. „Wesley ist nicht so verspielt wie Diego, sondern klarer in seinen Aktionen“, urteilt Thomas Schaaf über ihn.

Hin und wieder überfordert Werders Trainer seine Spieler noch mit seinen Innovationen. Ohne Not änderte er gegen Tottenham die am Samstag bei Bayern München überzeugende Formation. Mit Hugo Almeida für Aaron Hunt in der Startaufstellung wollte er „mehr Druck ausüben“. Stattdessen waren die Mittelfeldspieler zuerst mehr mit der Suche nach der eigenen Position beschäftigt als mit dem Gegner. Der 0:2-Rückstand nach nur 18 Minuten war das Ergebnis.

Gegen seine sonstige Politik der ruhigen Hand reagierte Schaaf früh, brachte Hunt für Bargfrede und beorderte Wesley ins Zentrum. Von dort aus sortierte der 23-Jährige das Spiel und gab auch die präzise Flanke zum Anschlusstreffer durch Almeida, der Werders Lebensgeister wieder weckte. Im gleichen Maße wie Wesleys Kräfte dann in der zweiten Hälfte schwanden, drehte Marko Marin auf, der auch den Ausgleich erzielte.

Der zuletzt noch überragende Marko Arnautovic brachte dagegen das Publikum mehrfach mit schlampigen Ballverlusten und überheblicher Körpersprache gegen sich auf. Dennoch trägt auch er im Moment wie Wesley und Marin dazu bei, dass in Bremen der Name Mesut Özil selten fällt. Die Kraft der vielen Schultern, damit könnte es Werder in dieser Saison gelingen, als Champions-League-Teilnehmer den Frühling zu erleben.

Dann wird auch endlich die neue Ostkurve fertig sein und die Werder Fans können akustisch wieder die Gesänge der Gästefans übertönen. Falls sie denn kommen: Ein Großteil der Fans, die dort normalerweise den Ton angeben, bestreiken zurzeit die Champions League wegen sozial unangemessener Eintrittspreise. Hackordnungen gibt es auch bei Werder nur auf dem Platz nicht mehr. RALF LORENZEN