AMERICAN PIE
: Wie der Sepp so der Bud

VIDEOBEWEIS In einem sind sich Baseball und Fußball überraschend ähnlich: im Widerstand gegen die Segnungen der Moderne

Der Herbst kommt, die Baseball-Saison geht ihrem Ende zu und Bud Selig tritt vor die Presse, um der Welt mitzuteilen, dass alles beim Alten bleibt. Vor allem gedenke man nicht, ließ der Chef von Major League Baseball (MLB) wissen, den Videobeweis auszuweiten – auch und erst recht nicht nicht für die im Oktober beginnenden Playoffs.

Die Diskussion im Baseball um das „instant replay“, wie der Videobeweis in den USA genannt wird, erinnert an die Fußball-Weltmeisterschaft im Sommer. Denn so wie sich die Fifa und ihr Boss Sepp Blatter gegen die Einführung wehren, so stemmt sich auch die MLB unter Bud Selig gegen eine allseits geforderte Modernisierung. Und beide benutzen zum Verwechseln ähnliche Argumente: „Würden wir noch mehr Technik einführen, würden wir den Sport grundsätzlich verändern“, sagt Selig, „darüber bin ich sehr besorgt.“

Dabei hat die MLB den Videobeweis vor zwei Jahren eingeführt. Allerdings als letzte der großen Sportarten in den USA, nur unter vehementem öffentlichem Druck und schlussendlich als Mogelpackung. Denn der Einsatz der neuen Technik ist arg eingeschränkt: Die Schiedsrichter dürfen nur überprüfen, ob ein Homerun korrekt erzielt wurde, und das auch nur auf eigene Initiative hin. Die Trainer haben keine Einspruchmöglichkeit, entsprechend selten wird der Videobeweis eingesetzt.

Die Debatte zwischen Modernisierern und Traditionalisten erhielt während der laufenden Saison allerdings neue Nahrung: Anfang Juni war Armando Galarraga von den Detroit Tigers auf dem besten Wege, ein „perfect game“ zu werfen. Der Pitcher hatte bereits 26 von 27 nötigen Outs geschafft, ohne dass ein Gegner auf Base gekommen war – eine Leistung, die vor diesem Tag nur 20 Mal gelungen war in mehr als 140 Jahren MLB-Geschichte und zehntausenden von Spielen. Doch was wie das letzte, entscheidende Aus aussah, ein Routinespielzug an der ersten Base, hatte ausgerechnet, als einziger im Stadion der zuständige Schiedsrichter Jim Joyce anders gesehen – und verwehrte Galarraga seinen Platz in den Geschichtsbüchern.

Der aus Venezuela stammende Pitcher nahm es erstaunlich gelassen und alle seine Englisch-Kenntnisse zusammen, um Joyce freizusprechen: „Nobody’s perfect“, sagte er und brachte den nach Ansicht der TV-Bilder untröstlichen Schiedsrichter dazu, seinen Fehler einzugestehen und in Tränen auszubrechen. Auch die Politik wollte da nicht abseits stehen: Jennifer Graham, die Gouverneurin von Michigan, veröffentlichte eine Erklärung, in der sie Galarraga hochoffiziell bescheinigte, „das ‚erste perfect game‘ in der Geschichte der Tigers“ geworfen zu haben.

Seitdem werden sie wieder ausgetauscht, die üblichen Argumente für und wider: Die einen wollen mehr Gerechtigkeit, die anderen finden, Baseballspiele sind heute schon viel zu lang. Die einen weisen darauf hin, dass der Videobeweis im Eishockey oder im Football doch angeblich ohne Probleme eingesetzt wird, die anderen sorgen sich um den menschlichen Faktor.

An der Spitze der Konservativen steht Selig, der sich selbst als „Traditionalist im Herzen“ charakterisiert. Die öffentliche Empörung nach dem von Joyce ruinierten perfekten Auftritt von Galarraga konterte er mit derselben Strategie, die schon sein Fifa-Gegenstück Blatter nach dem Bloemfontein-Nichttor von Frank Lampard benutzte: Er verwies das Problem in die Ausschüsse. Und sah dann zu, wie es dort versandete. „Wir studieren den Sachverhalt“, beschwichtigte er nun die Kritiker, „unser Komitee sagt, dass wir noch mehr studieren müssen, vielleicht ein paar Monate“. Er wolle eine Ausweitung des Videobeweises nicht komplett ausschließen, aber Baseball sei ein Spiel mit einer bestimmten Geschwindigkeit und diese Geschwindigkeit dürfe nicht unterbrochen werden.

Bedenken, die andere offensichtlich nicht teilen. Bevor im August die besten Nachwuchsspieler der Welt zur Little League World Series in South Williamsport, Pennsylvania, antraten, verkündeten die Veranstalter, dass sie den Videobeweis noch öfter einsetzen wollten als bisher schon. Bis zu 12 Kameras verfolgten dann die höchstens 13-jährigen Baseballer, bis zu 16 Videomonitore standen den Unparteiischen zur Verfügung. Am Ende gewann eine Mannschaft aus Tokio, die Welt war nicht untergegangen und Baseball doch tatsächlich immer noch Baseball.

THOMAS WINKLER