Weiterer Waschgang

RADSPORT Vier Zeugen der Dopinganklage gegen Lance Armstrong fahren bei der Tour de France mit. Anfang des nächsten Jahres sollen sie für sechs Monate gesperrt werden. Am Start zur fünften Etappe erreicht der Schatten des Einst-Meisters das Peloton doch noch

Ex-Armstrong-Helfer Leipheimer schleicht schweigend an der Presse vorbei

AUS METZ TOM MUSTROPH

Die Kathedrale von Rouen hat schon Jeanne d’Arc verbrennen sehen. Anno 2012 wurde sie Zeuge, wie zumindest das Image des wundersam vom Krebsleidenden zum Toursieger auferstandenen Lance Armstrong zerschmettert wurde. Die schnell getakteten Kommunikationsmedien unserer Tage sorgten für die Übermittlung der Botschaft, dass im fernen Amerika die dortige Antidopingagentur vier Kronzeugen gegen Armstrong zu einer Sperre von sechs Monaten verurteilen möchte. Die milde Strafe darf man als Gegenleistung für Aussagen über eigenes Doping und das gesamte Schnellmachersystem bei den Rennställen US Postal und Discovery Channel werten.

Es bedeutet insbesondere, dass diese vier Männer die Hauptangeklagten im Verfahren, also Armstrong und dessen Mentor Johan Bruyneel, den Teamchef von Radioshack, belastet haben dürften. Der Medienauflauf im mächtigen Schatten der Kathedrale von Rouen ereignete sich dann aber nicht rings um den Teambus von Radioshack, sondern bei Team Garmin. Der hat sich als Antidopingrennstall einen Namen gemacht. Doch zwei der vier namentlich genannten Zeugen, die US-Amerikaner David Zabriskie und Christian Vandevelde, sind bei Garmin unter Vertrag. Sie gehörten, wie auch der Gründer des Rennstalls Jonathan Vaughters, einst zur Entourage von Armstrong. Während Vaughters schon vor Jahren Doping zugegeben und sich danach zum Antidopingkämpfer gewandelt hatte, blieben Zabriskie und Vandevelde solche Aussagen bisher schuldig.

Sich zum Sachverhalt äußern wollten sich weder Rennstallchef Vaughters noch seine beiden Fahrer. Vaughters trat aus dem Teambus und las eine Erklärung vor. Die besagte: „Wir haben Team Slipstream (so hieß das Team früher, d. Red.) aufgebaut, weil wir ein Team kreieren wollten, in dem Radprofis zu 100 Prozent saubere Leistung erbringen können. Es ist eine Organisation mit den zentralen Werten von Ehrlichkeit, Fairness und Optimismus. Wir erwarten, dass jedermann von uns, der von einer Antidopingorganisation oder einer staatlichen Autorität kontaktiert wird, ihr gegenüber offen und ehrlich sein wird. Gegenwärtig konzentrieren wir uns aber auf die Tour de France.“ Vaughters fügte noch hinzu: „ Medienberichte über Sanktionen sind unwahr.“ Die niederländische Tageszeitung De Telegraaf hatte allerdings geschrieben, dass die Sperre erst zum Saisonende greifen solle. Das wäre ein weiteres Entgegenkommen gegenüber den Zeugen.

Levi Leipheimer, auch er ein Ex-Armstrong-Helfer, wollte gar nichts sagen. Mit fest verschlossenem Mund schlängelte er sich an den Journalisten vorbei. „Big“ George Hincapie schließlich wurde vom BMC-Pressesprecher Georges Lüchinger wie ein Erstklässler auf dem Weg zur Schule zum Einschreiben begleitet, um Reporterfragen abzuwehren. Sonst gilt dieser Service dem Toursieger Cadel Evans. Aber heute wurden andere Sicherheitsprioritäten gesetzt. Hincapie ließ sich immerhin ein paar Worte abringen. „Ich bin enttäuscht“, nahm er bezug auf das Durchsickern der Nachricht von der Sperre. Ansonsten wolle auch er sich auf seine Arbeit bei der Tour de France konzentrieren.

Das ist natürlich verständlich. Allerdings hätte es einem Mann von der Statur des Rekordstarters bei der Tour de France (17 Teilnahmen und Mithilfe bei neun Toursiegen – darunter siebenmal Armstrong) gut angestanden, präzisere Auskunft über seine Aussagen zu geben. Das aktuelle Verfahren ist kein Grand-Jury-Verfahren, bei dem die Beteiligten zum Schweigen verpflichtet sind, sondern ein gewöhnlicher Doping-Prozess.

Nun steht der Radsport vor einem weiteren Waschgang. Vertreter von Tourorganisator ASO wollten dazu keinen Kommentar abgeben. Selbst wenn sie schweigen: Langsam wird es Zeit, auch die letzten gelben Livestrong-Armbändchen, nein, nicht auf einen Scheiterhaufen zu werfen, sondern im Plastikmüllcontainer zu versenken.