Bloß nicht handeln

WEST-DOPING Der Sportausschuss des Bundestags diskutiert mit Sportminister Hans-Peter Friedrich die jüngsten Forschungsergebnisse zur flächendeckenden Leistungsmanipulation im westdeutschen Spitzensport. Der will partout keine Konsequenzen daraus ziehen

Wehe den Forschern, die es sich erlauben, aus den Quellen, die sie zusammentragen, den Schluss zu ziehen, dass Doping fester Bestandteil des Sportsystems war!

AUS BERLIN ANDREAS RÜTTENAUER

„Da hat die Sportwissenschaft versagt.“ Der Satz hat gesessen. Er kam wie ein Faustschlag in das eigene Auge. Denn ausgesprochen hat ihn Henk Erik Meier, selbst ein Sportwissenschaftler. Meier ist Professor an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, die einen Teil des in diesen Tagen viel diskutierten Forschungsprojekts zum Thema „Doping in Deutschland von 1950 bis heute“ bearbeitet hat. Er war als Experte in den Sportausschuss des Bundestags geladen, der die Forschungsergebnisse am Montag diskutiert hat, und sollte die Frage beantworten, wie es denn sein könne, dass sich die Wissenschaft so spät erst intensiv mit dem Phänomen der Leistungsmanipulation in der alten Bundesrepublik befasst habe. „Eigentlich hätte das eine Routineaufgabe der Sportwissenschaft sein müssen“, sagte Meier und scherte mit dieser Kritik an der eigenen Branche aus dem Kreis der Selbstbeweihräucherer aus, die diese Sitzung bestimmten.

Einer dieser selbstzufriedenen Sportfreunde ist der CSUler Hans-Peter Friedrich, der Innen- und Sportminister. „Wir stehen heute an der Spitze der Dopingbekämpfung in der Welt“, sagte er vor dem Mitgliedern des Ausschusses, der ausnahmsweise einmal öffentlich tagte. Eigentlich sollte es darum gehen, Konsequenzen aus den Ergebnissen der Studie zu ziehen. Friedrich indes sieht keinen Handlungsbedarf. Die Wissenschaftler, die den Teil der Studie zu verantworten haben, der unter dem Dach der Berliner Humboldt-Universität entstanden ist, hatten ein von der Politik und den Spitzensportverbänden gefördertes „systemisches Doping“ in der Bundesrepublik ausgemacht, und als Konsequenz daraus ein Anti-Doping-Gesetz gefordert, das Leistungsmanipulation als Sportbetrug unter Strafe stellt. Die Forderung ist auch beim Sportminister angekommen, der sich ganz anders als noch vor einem halben Jahr jetzt auch vorstellen kann, einen neuen Straftatbestand einzuführen – irgendwie zumindest. Und irgendwie auch wieder nicht. „Wir dürfen den Amateursport nicht kriminalisieren“, meinte er. Außerdem müsse man „Kollateralschäden“ vermeiden, dürfe die Sportgerichtsbarkeit, bei der nach einem positiven Test die Schuldvermutung gilt, mit rechtsstaatlichen Regeln, der Unschuldsvermutung zum Beispiel, nicht aushebeln. Friedrich will sich nach der Bundestagswahl mit Experten zusammensetzen, um das Thema zu diskutieren – oder auch nicht. Ob er an dem vereinbarten Termin überhaupt Zeit habe, wisse er noch nicht.

Friedrich wollte nicht einmal kritisieren, dass der Staat in den 70er Jahren Forschungsaufträge vergeben hat, mit denen die Wirkung von Dopingmitteln untersucht worden sind. „Das war eine andere Zeit“, sagte er. Oder: „Das war die Zeit des Ost-West-Konflikts“.

Dass man gerade, was die Forschungsarbeit betrifft, sehr wohl Schlüsse aus der Geschichte des West-Dopings ziehen kann, zeigte der Antrag der Fraktion der Grünen im Sportausschuss. Er wurde mit der schwarz-gelben Koalitionsmehrheit niedergestimmt. Eine von acht Forderungen, darunter die Etablierung einen Anti-Doping-Gesetzes, lautet: „Um die Gefahr eines Missbrauchs von Anti-Doping-Forschung auszuschließen, werden Forschungsaufträge mit Anti-Doping-Bezug nicht an Personen vergeben, die gleichzeitig Olympia- oder Verbandsarzt sind.“ Giselher Spitzer, einer der Autoren des Berliner Teils der Studie, der als Experte vor den Ausschuss geladen war, sprach in diesem Zusammenhang von „nutzungsorientierter Dopingforschung“ in der Vorwende-BRD. Zu gerne wüsste man, ob es eine solche immer noch gibt an den deutschen Universitäten. Eine Antwort darauf könnte ein neuer Forschungsauftrag geben, der sich mit den Dopingpraktiken der Nachwendezeit bis in die Gegenwart befasst und den Teil der Studie nachliefert, der wegen Finanzierungsproblemen an der Humboldt-Universität nicht realisiert werden konnte. Sportminister Friedrich hätte jedenfalls nichts dagegen, wenn weitergeforscht würde. Seine Worte dazu: „Wir wollen, dass deutsche Geschichte aufgearbeitet wird.“ Wehe aber den Forschern, die es sich erlauben, aus den Quellen, die sie zusammengetragen haben, den Schluss zu ziehen, dass Doping ein inhärenter Bestandteil des Sportsystems war, wie es die Berliner Forscher für die Zeit bis 1990 getan haben! Die Worte „unwissenschaftlich“ und „hanebüchen“ sind da gestern im Sportausschuss nicht nur einmal gefallen, und beinahe konnte man den Eindruck gewinnen, dass gar nicht wichtig ist, was die Wissenschaftler da zutage gefördert haben.

Was wirklich zählt, das machte Minister Friedrich gleich zu Beginn der Sitzung klar. „Ich möchte namens der Bundesregierung erklären, dass wir Dr. Thomas Bach alles Gute wünschen.“ Der Boss des Deutschen Olympischen Sportbundes möchte sich in neun Tagen zum IOC-Präsidenten wählen lassen. Hans-Peter Friedrich hofft, das „unsere Vorstellung von Sportpolitik international stärker zum Tragen kommt“. Welche Vorstellung eigentlich?