Sitzen für das Spiel

PROTEST Die Profis in Brasilien fühlen sich von der Terminhatz überfordert und drohen mit Streik

Über 1.000 Fußballer der beiden höchsten Ligen haben sich den Protesten schon angeschlossen

VON TOBIAS MÜLLER

Die Augen der Welt richten sich auf Brasilien, wenn am heutigen Freitag die Gruppen der Fußball- WM 2014 ausgelost werden. Kaum dass diese zur Kenntnis genommen und seitens der Expertenwelt von Pelé bis Ronaldo mit Kommentaren versehen sind, steht im brasilianischen Fußball am Sonntag ein anderes Großereignis an: der letzte Spieltag des Brasileirão, der landesweiten Meisterschaft.

Zwar steht dort Cruzeiro Belo Horizonte seit Wochen als Champion fest, doch andere Aspekte sorgen für Spannung: Zwei Legenden aus Rio de Janeiro, Vasco da Gama und Vorjahresmeister Fluminense, droht der gemeinsame Absturz in die Serie B. Und dann ist da eine andere Frage, eine, die in den letzten Wochen zunehmend wichtiger wurde: Was wird aus dem Bom Senso Futebol Clube?

Der Name führt ein wenig in die Irre, denn „Bom Senso“, was sich mit „gesunder Menschenverstand“ übersetzen lässt, ist ein klubübergreifendes Bündnis. Mehr als 1.000 Kicker der beiden höchsten Ligen haben sich ihm schon angeschlossen, dazu sechs Klubs wie São Paulo, Bahia und Flamengo. Sie wollen dem nationalen Verband CBF signalisieren: Es reicht! Zu viele Spiele sind zu absolvieren, zu eng getaktet ist der Terminkalender im Mittwoch-Sonntag-Rhythmus, zu lang sind die Reisen, zu kurz die Regenerationsphasen.

Seit zwei Wochen ist der Bom Senso FC in aller Munde: Eine Protestaktion, wie sie der brasilianische Fußball noch nie erlebte, legte mehrere Begegnungen eines Spieltags unter der Woche kurzfristig lahm. In Porto Alegre und Goiânia blieben die Spieler eine halbe Minute reglos stehen, mit verschränkten Armen, dem Bom-Senso-Markenzeichen. Beim Match der Altmeister São Paulo und Flamengo sanken sie nach dem Anpfiff zu Boden und blieben fast eine Minute sitzen. Nicht mal TV Globo, der allmächtige Inhaber der TV-Rechte, wusste zuvor von der Aktion.

Die Forderungen des Bündnisses, das in den letzten Wochen stetig wuchs: 30 Tage Urlaub nach Saisonende, maximal sieben Spiele im Monat, Financial Fairplay nach Vorbild der Uefa sowie eine Kommission aus Spielern, Trainern und anderen Club-Offiziellen, die der Verband in Fragen hinsichtlich Spielplan und Regularien miteinbeziehen muss. Auch will man die traditionsreichen Meisterschaften der Bundesstaaten, ausgetragen vor dem Start der nationalen Ligen im April, deutlich begrenzen.

„Für einen besseren Fußball für alle“ lautet das Motto der Bewegung. Besser aber, sagt Alex, einer der Sprecher der Bewegung, wird man durch Training. Und dafür haben die Spieler kaum mehr die Zeit, wenn sie in bestimmtem Phasen der Meisterschaft bis zu zehn oder zwölf Matches im Drei-Tages-Takt haben. „Wir sind am Limit angekommen“, so der Mittelfeldspieler aus Coritiba in einem Interview mit BBC Brasil.

Alex kam nach acht Jahren in der Türkei zurück nach Brasilien und wundert sich über die hohe Verletzungsfrequenz. Gemeinsam mit anderen Altstars wie Ex- Milan-Keeper Dida (Grêmio Porto Alegre), Clarence Seedorf (Botafogo) und Juan (Internacional) rief er im September den Bom Senso FC ins Leben. Über Inhalte und Aktionen tauschen sich die Mitglieder per WhatsApp aus. „Aus Sorge um unseren Fußball“, wie Alex betont. „Wir wollen mit niemandem streiten, wir wollen nur gehört werden.“

Danach aber sieht es nicht aus. Der Dialog mit dem Verband CBF, im September und Oktober noch im Gange, ist seit Wochen ausgesetzt. „Wenn sie weniger spielen wollen, sollen sie ihre Klubs bitten, sie zu ersetzen“, ließ die CBF- Spitze verlauten. Vor dem letzten Spieltag wartet Bom Senso auf eine andere Reaktion des Verbands und schließt inzwischen auch einen Streik im WM-Jahr nicht mehr aus. Bisher galt dies als letztes Mittel. Paulo André, Verteidiger von Corinthians FC aus São Paulo, warnt: „Sie spielen mit dem Feuer. Wenn es auf diese Weise weitergeht, wird der Streik kommen.“