Der Gernegroß

Zuerst der Höhenflug bis in die Spitzengruppe der Dritten Liga hinein, dann der Absturz in den Tabellenkeller – Karsten Neitzel, der 46 Jahre alte Trainer der Fußballer von Holstein Kiel, hat mit den „Störchen“ im ersten Teil der Saison Erfahrungen der Extreme gemacht.

Zeitweilig war der Job des gebürtigen Sachsen beim Aufsteiger in höchster Gefahr. 13 Spiele lang, vom 31. August bis zum 14. Dezember, waren die Kieler ohne Sieg. Zumindest gelang der Jahresabschluss: Das 2:1 beim 1.FC Saarbrücken und das 2:2 im Heimspiel gegen den Spitzenklub Hansa Rostock am Sonnabend retteten Neitzel den Job.

Holstein steht in der Tabelle gerade noch so vor den Abstiegsrängen. Vier Tore beträgt der Vorsprung auf den punktgleichen Drittletzten Hallescher FC. “Wir haben 24 Punkte, das sind eindeutig ein paar zu wenig. Gut hat mir gefallen, wie wir als Mannschaft auch dann zusammengeblieben sind, als viele vom Sturzflug geschrieben haben“, sagt Neitzel.

Neitzel ist ein Trainer, der gerne redet und sich gerne reden hört. Da muss dann nicht immer Substanz im Spiel sein.

Interessant ist auch Neitzels Selbstwahrnehmung. Zu seiner Ernennung als Trainer, die Holstein-Sportchef Andreas Bornemann in die Wege geleitet hatte, sagte der frühere Vokuhila-Frisurenträger gegenüber dem NDR: „Es kommt ja wohl nicht darauf an, wer was in die Mikrofone bläst. Andreas Bornemann ist intelligent und weiß, was er hier bei der KSV braucht. Deshalb hat er mich angerufen, und ich bin froh, dass ich in Kiel gelandet bin.“ Zusammengefasst heißt das: Da war jemand also richtig intelligent, ihn zum Klub zu holen. Anderen fehlt dieser Weitblick.

Überaus nervös und angegriffen zeigte sich Neitzel nach dem Heimspiel gegen den 1.FC Heidenheim am 2. November, das mit 0:1 verloren ging. Er mahnte in der Pressekonferenz die Medienvertreter dazu, doch bitteschön „intelligent auf das Spielfeld“ zu schauen. Da dürfte jetzt kein Denken in Schubladen entstehen, es dürften keine Schubladen geöffnet werden, in denen nur Kritik zu finden sei. Und als ein Medienvertreter äußerst dezent die Frage stellte, ob es bei der Ausführung von Freistößen nicht Potenzial für Verbesserungen gebe, gab es sogleich die fußballprofessorgleiche Belehrung: Da fehle doch einigen Beobachtern der „intelligente Blick auf das Spielfeld“.

Neitzel sparte bei seiner Kritiker-Kritik auch eine Gruppe von Zuschauern nicht aus, die ihren Unmut zum Ausdruck gebracht hatten. Hier und da etwas Mäßigung bei der Hervorhebung seiner Fachkenntnis möchte man Karsten Neitzel durchaus wünschen.  CHRISTIAN GÖRTZEN