Alltagsexperimente im Kurzgeschichtenband: Wenn die Katastrophen kulminieren

Erst Inzest, und dann stirbt auch noch der Hund: "Der Tag, an dem Gabriel Nin den Hund seiner Tochter im Swimmingpool ertränken wollte" von Berta Marsé.

Bevor der erste Schlag verdaut ist, kommt schon der nächste. Ein Altlinker erfährt, dass er einen unehelichen Sohn hat, von dem seine eheliche Tochter gerade schwanger ist. Während er angesichts des Inzests ohnmächtig wird, stirbt der Hund. Stücke wie dieses in Berta Marsés Kurzgeschichtenband "Der Tag, an dem Gabriel Nin den Hund seiner Tochter im Swimmingpool ertränken wollte" sind Experimente mit der Forschungsfrage: Was passiert, wenn Katastrophen kulminieren?

Die katalonische Autorin passt in ihren Erzählungen den Punkt ab, an dem die heile Fassade im Leben nicht nur bröckelt, sondern schonungslos eingerissen wird. Wissend und mit perfidem Lächeln steuert sie in den besten der sieben Geschichten auf menschliche Abgründe zu, die sich mitunter beiläufig, aber stets bodenlos öffnen. So handelt "Erste Liebe" von einer eiskalt kalkulierenden Jugendlichen, die sich scheinbar in einen todkranken Klassenkameraden verliebt - um sich nach dessen Tod als blasse Witwe inszenieren zu können. In der Darstellung solcher dunklen Motive liegt Marsés Stärke, nicht in den emotionalen Momenten, die ihr manchmal ins Klischee abgleiten.

Häufig sind es in ihren Geschichten die eigenen Kinder, die den Eltern in deren trügerischer Idylle die Augen öffnen und die Illusionen rauben. Während die Tochter dem Vater zielstrebig die Fakten präsentiert - Schwangerschaft, Inzest, Hund tot -, sorgt der sich noch um den Dresscode für Katastrophen ("Ein Morgenmantel ist keine Aufmachung, um schlechte Nachrichten zu erhalten") und wehrt sich mit armseligen Mitteln gegen den Einbruch der Realität in sein Leben: Angesichts des unaufhaltsam auf ihn zukommenden Desasters will er wenigstens Zucker für seinen viel zu bitteren Kaffee.

Leider traut Berta Marsé, Tochter des Schriftstellers Juan Marsé, hin und wieder der Stärke ihrer eigenen Texte nicht: "Patri hat ihre Mutter sehr klein gezeichnet, was heißt, dass sie nicht besonders wichtig für sie ist." Aha. Dafür hat sie viele originelle Ideen - die Tasse voll Gin, in die die Operndiva zur Tarnung den Teebeutel hängt - und ein Händchen für Schlüsse.

Berta Marsé: "Der Tag, an dem Gabriel Nin den Hund seiner Tochter im Swimmingpool ertränken wollte". Aus dem Spanischen von Angelica Ammar. Wagenbach Verlag, Berlin 2008, 171 Seiten, 17,90 Euro

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.