Ein ungeschriebenes Buch

ÖKONOMIE Thomas Pikettys Sammlung kurzer Zeitungsartikel gibt einen Ausblick auf interessante Lösungsvorschläge für die Eurokrise

Der französische Ökonom Thomas Piketty ist der internationale Megastar unter den Bestsellerautoren. Sein „Kapital im 21. Jahrhundert“ hat sich allein in Deutschland etwa 83.000-mal verkauft. Jetzt wollte der Beck-Verlag offenbar schnell ein zweites Piketty-Werk hinterherschieben, um erneut Kasse zu machen.

Das Ergebnis ist ein Sammelband, der unter dem Titel „Die Schlacht um den Euro“ firmiert. Darin finden sich 40 kurze Texte, die in der französischen Tageszeitung Libération erschienen sind und die die Zeitspanne von 2008 bis Januar 2015 umfassen.

Wie Piketty selbst im Vorwort schreibt, wurden diese Artikel nicht mehr korrigiert oder überarbeitet. Leider. Denn auch Piketty muss bereits in der vierten Zeile einräumen, „einige Texte haben inzwischen etwas Patina angesetzt“. Warum er diese veralteten Artikel neu auflegen lässt – darüber schweigt der Autor.

Zudem leidet der Sammelband an einem Grundproblem, das bei jedem Kompendium auftritt, wenn die Artikel um das gleiche Thema kreisen: Es kommt zu endlosen Wiederholungen. Umgekehrt werden Zusammenhänge und Hintergründe nicht erklärt, sondern höchstens angedeutet. Von Pikettys neuestem Buch ist also abzuraten. Trotzdem lässt sich an einigen Stellen ahnen, was für ein Werk Piketty noch schreiben könnte, falls er jemals wieder zur Ruhe kommt und sich nicht auf weltweiten Lesereisen erschöpft.

Denn Pikettys Sicht auf die Eurokrise ist interessant und oft auch originell. Ein systematisches Buch von ihm könnte die deutsche Debatte bereichern, die bisher daran krankt, dass der neoliberale Mainstream dominiert und auswärtige Perspektiven konsequent ignoriert werden.

Sehr anschaulich ist etwa, wie Piketty den Wahnsinn der deutschen Exportüberschüsse illustriert: „Deutschland könnte innerhalb von fünf Jahren die 40 umsatzstärksten französischen Aktiengesellschaften oder auch alle Pariser Immobilien kaufen.“ Viele Deutsche halten es für normal, dass sie die Welt mit ihren Waren erdrücken, indem sie Lohndumping betreiben. Aber man stelle sich einmal vor, was in Deutschland los wäre, wenn Frankreich alle DAX-Unternehmen aufkaufen oder sämtliche Immobilien in Berlin, München, Frankfurt und Düsseldorf erwerben könnte.

Die Eurozone ist falsch konstruiert, wie Piketty mit einem knappen Paradox zeigt: „Europa ist heute weniger verschuldet als die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Japan. Dennoch sind wir es, die eine Staatsschuldenkrise haben.“ Die Währungsunion verhindert zwar, dass auf die Devisenkurse der einzelnen Euroländer spekuliert werden kann – aber stattdessen wird auf die Zinsen gewettet, die die Mitgliedsstaaten jeweils zahlen müssen. Selbst gesunde Länder wie Italien können in der Insolvenz landen, wenn Finanzinvestoren die Zinsen nach oben treiben.

Piketty plädiert daher für Eurobonds – also eine gemeinsame Staatsanleihe für alle 19 Euroländer. Die meisten Deutschen sind strikt dagegen, weil sie fürchten, dass sie für andere Länder zahlen müssten, die hemmungslos Kredite aufnehmen. Um dieser Sorge zu begegnen, schlägt Piketty einen Umbau der Eurozone vor: Er will eine Art „europäischen Haushaltssenat“ schaffen, in dem sich demokratisch legitimierte Abgeordnete aus allen Euroländern versammeln und nicht mehr die Finanzminister der Einzelstaaten.

Viele Deutsche wollen jedoch keine gemeinsame Euroregierung, weil sie nicht die Kontrolle über ihre eigenen Angelegenheiten verlieren möchten. Auch hierfür hat Piketty eine Lösung: Es sei unnötig, alles zu vergemeinschaften, wenn man Eurobonds hat. So wäre es „kontraproduktiv, die Rentensysteme verschiedener Länder zusammenzulegen“. Unabdingbar sei nur, eine gemeinsame Steuerpolitik zu betreiben – und Steueroasen wie Irland oder Luxemburg zu schließen.

Mit einem Ende aller Steueroasten wären die Deutschen bestimmt einverstanden. Aber wie gesagt: Dieses Eurobuch muss Piketty noch schreiben.ULRIKE HERRMANN

Thomas Piketty: „Die Schlacht um den Euro. Interventionen“. C. H. Beck, München 2015, 175 S., 14,95 Euro