„Der Mann soll mich berühren, komplett“

GENERATIONEN Wie verändert sich weibliche Lust? Drei Frauen sprechen über ihre Erfahrungen. Marion Richter ist 49 und hat den besten Sex ihres Lebens

Erlebnisse, die sich wie ein positives Trauma manifestieren: Man erinnert sich daranund will es wieder

PROTOKOLL SIMONE SCHMOLLACK
ILLUSTRATIONEN STEPHANIE F. SCHOLZ

Treffen. Sex. Verabschieden. Klare Sache eigentlich. Viele Jahre wollte ich das so: keine Beziehung, aber mit Männern zusammensein, sie anfassen, riechen, ihre Körper auf meinem, Orgasmen haben. Und dann wieder gehen.

Bei einigen Männern kam das nicht gut an. Einfach nur so Sex? Manche wollten Intensität und Nähe, die ich ihnen nicht geben konnte und wollte. Ich arbeite im Tourismusbereich und bin früher viel verreist. Sich fest zu binden, so dachte ich: Das wäre kompliziert.

Man sagt Frauen oft nach, sie würden hauptsächlich aus einem tiefen Gefühl heraus mit Männern ins Bett gehen. Vielleicht stammt dieser Glaube aber aus einer Zeit, in der weibliche Lust negativ konnotiert war, und in der Frauen in erster Linie dem Mann zu dienen hatten, vor allem in Beziehungen.

Viele meiner Freundinnen in meinem Alter – ich bin 49 – hatten ohne großes Gefühlstamtam Spaß mit Männern, mit denen sie kaum mehr verband als Erotik. Natürlich wollte ich niemanden benutzen für etwas, das er nicht wollte. Meine Liebhaber waren Männer, mit denen ich über vieles reden konnte – anders hätte ich das auch nicht gekonnt. Ich wurde mit der Bedrohung durch Aids groß, habe mich immer mit Kondomen geschützt. Dass ich damit auch unkompliziert verhüten konnte, war wunderbar, auch, weil ich die Pille schlecht vertrug. Später, in der Beziehung mit dem Vater meines Sohnes, habe ich alles ausprobiert, was einigermaßen sicher ist, Zäpfchen, Diaphragma, heute habe ich eine Spirale.

Nachdem wir uns getrennt hatten, wollte ich meinem Sohn keinen anderen Mann zumuten als seinen Vater. Er war acht, als wir auseinandergingen, mittlerweile ist er 18. Ich wollte das Kind beschützen und für klare Verhältnisse sorgen.

Damals musste ich mir eingestehen, dass es ein Fehler war, den Vater meines Sohnes mit in den Kreißsaal zu nehmen. Ich dachte, das ist gut so und gehört zum Zeitgeist, wir versprachen uns davon noch mehr Nähe.

Aber die Heftigkeit der Geburt, diese übermächtige Körperlichkeit, die von mir ausging, hat womöglich dazu geführt, dass danach sexuell nicht mehr viel lief. Unabhängig davon, dass es mit einem Baby erst mal anders ist. Jungen Frauen würde ich inzwischen raten: Lasst das sein mit dem Mann im Kreißsaal, nehmt lieber eine Freundin mit.

Sex, als pures körperliches Erlebnis, dieses Elektrisiertsein vom Sex des anderem, ist das eine. Kommt Liebe dazu, ist das Gefühl, das dabei entsteht, intensiver, schon allein, weil man sich verbunden fühlt. Ich habe beides erlebt. Doch mich gehen lassen, das kann ich auch beim Sex mit Männern, von denen ich wirklich nur Sex will. Bedingung ist, dass es körperlich passt. Man sagt ja, die Schwanzgröße sei da nicht entscheidend. Ist sie für mich aber schon, klein ist einfach doof. Was vielleicht ein wenig danach klingt, als bräuchte ich den super potenten Mann, womöglich so, als wollte ich mich ergeben. So ist es nicht. Der Mann soll mich eben berühren, komplett.

Aufgewachsen bin ich mit Brüdern, gegen die ich mich durchsetzen musste, mit denen ich mich manchmal auch geprügelt habe. Mit den „Emmas“ dieser Welt habe ich dennoch nichts gemein. Eine Frau sollte selbstbewusst sein, ihre weiblichen Reize zeigen, finde ich, und sich mit etwa fünfzig – bedingt durch die Hitzeattacken der Wechseljahre – nicht in Wickel-Fummeln verstecken. Wenn Frauen um ihre Weiblichkeit wissen, macht es nicht nur ihnen das Leben leichter, sondern meiner Meinung nach auch Männern.

Dass ich als unverheiratete, alleinerziehende und alleinstehende Frau nie auf Sex verzichten musste, verdanke ich dem Feminismus. So selbstbestimmt und selbstverständlich, wie ich das erlebe, wäre das vor der und ohne die Frauenbewegung nicht möglich gewesen, und wahrscheinlich eine heimliche und verschämte Sache. Die Generation meiner Mutter etwa konnte sich sexuell nicht ausleben, wie es die Tochtergeneration kann. Ältere Frauen können vielfach nicht so locker über Sex reden wie wir. Nichtsdestotrotz will ich in diesem Text nicht mit meinem Namen genannt werden, ich habe ein kleines Unternehmen, und meine Kunden geht mein Privatleben nichts an.

Mit meinen Eltern habe ich nie über Liebe oder Erotik gesprochen. Ich wäre auch nie auf die Idee gekommen, das zu tun. Es hat mir wohl deshalb nicht gefehlt, weil ich es nicht anders gewohnt war. Sexfragen habe ich mit meinen Freundinnen besprochen, aufgeklärt haben mich Bücher und Zeitschriften. Das erste Mal, ich war ungefähr 16, ging total daneben. Da versuchten zwei, die keine Ahnung hatten, irgendwas miteinander zu machen. Dann folgte das, was man Learning by Doing nennt: ausprobieren, staunen, zweifeln. Manchmal schämte ich mich, wenn ich glaubte, nicht genügen zu können oder etwas falsch gemacht zu haben, beispielsweise wenn ich keinen Orgasmus bekam. Bis ich ungefähr dreißig war, bin ich öfter mal leer ausgegangen.

Wie ich zum Orgasmus komme, habe ich mir selbst beigebracht. Als ich jünger war, hätte ich es nie gewagt, einem Mann zu sagen und zu zeigen, was er machen soll, damit ich zum Höhepunkt komme. Geschweige denn, mir es in seinem Beisein selbst zu machen. Das kann ich heute. Eine Initialzündung dafür war die Begegnung mit einem Mann, mit dem ich noch Kontakt habe, platonisch. Er ist Engländer und zeigte mir, wie es für eine Frau sein kann, wenn der Mann nicht zuerst an sich denkt, der Sex kein rammelnder Akt ist, sondern ein spielerisches, sensibles Miteinander. Er hat sich voll und ganz mir gewidmet, sich Zeit genommen, wir haben viele Stellungen ausprobiert.

Mit meinen Eltern habe ich nie über Erotik gesprochen. Es fehlte mir nicht, ich war es nicht gewohnt

Ich glaube, dass sich solche Erlebnisse manifestieren können wie ein positives Trauma: Man erinnert sich immer wieder daran und will es immer wieder haben, zumindest so ähnlich. Und vielleicht, wenn man dann den Mut hat, das auch einzufordern, kann man sexuell glücklich sein.

Jetzt bin ich mit einem Mann zusammen, mit dem ich zunächst eine Affäre hatte. Wir wohnen Tür an Tür. Wir waren uns sympathisch, beide partnerlos. Irgendwann beschlossen wir, einfach zusammen Spaß zu haben. Und irgendwann merkten wir, dass wir mehr suchten als nur Körperlichkeit, den Hormonrausch. Vor anderthalb Jahren wurde aus unserer Sex- eine Liebesbeziehung. Langsam, fast unbemerkt.

Wir treffen uns fast täglich, manchmal bloß kurz auf dem Flur. Jeder behält seine eigene Wohnung, und damit sein Leben. Wir haben drei oder vier Mal Sex in der Woche, was ich nicht zu wenig und nicht zu viel finde.

Es mag kitschig klingen, unglaubwürdig fast, aber es ist der beste Sex meines Lebens. Sicher hat es damit zu tun, dass wir keine Hemmungen, keine Scheu voreinander haben. Wir fragen uns nicht, ob wir alles richtig machen und gut aussehen, wenn wir miteinander schlafen.

* Name geändert