„Ich habe nur gewonnen“

Als ich sechs war, haben sich meine Eltern getrennt. Das kam plötzlich. Es hatte ein paar Wochen Streit gegeben, aber es kam mir nicht so schlimm vor. Als Kind ist man ja nicht so feinfühlig für so was. Nach drei Monaten zog meine Mama aus. Es war komisch und traurig, aber am Ende gar nicht so schlimm. Nach der Schule konnte ich entscheiden, wohin ich gehe. Statt ein Zuhause hatte ich zwei. Erst als meine Mama nach Duisburg zog, war ich mit meinem Papa allein. Das war hart.

Heute vermisse ich aber gar nichts. Im Gegenteil, dass meine Eltern geschieden sind, ist cool. Ich habe eine neue Familie gewonnen. Mein Papa ist seit zehn Jahren mit seiner Freundin zusammen. Ich hatte mir als Einzelkind immer Geschwister gewünscht. Die Freundin meines Papas hat vier Kinder, alle in meinem Alter. Mit ihrer Tochter war ich in einer Klasse und im Turnverein. Unsere Eltern sind nicht verheiratet und wohnen getrennt. Trotzdem sage ich „Stiefmama“ und „Stiefgeschwister“. Nicht nur Mama, Papa und Kind sind eine Familie, mein Familienbegriff hat sich erweitert. Wie viel glücklicher ich bin, habe ich gemerkt, als wir das erste Mal alle im Skiurlaub waren. Das war wie mit einer Jugendgruppe, wir haben viel Blödsinn gemacht. Seit zehn Jahren fahren wir jedes Jahr Ski. Alle Stiefgeschwister nehmen auch noch einen Partner oder eine Partnerin mit. So kann es sein, dass wir mit drei Autos in Urlaub fahren. Beim Abiball brauchen wir allein schon zwölf Plätze – Opas und Omas nicht mitgerechnet. Apropos: Es heißt ja, Scheidungskinder hätten eher Probleme in der Schule. Ich hatte einen Schnitt von 1,7 – und damit das schlechteste Abitur von uns fünf Scheidungskindern.

Selia Fink, 21 Jahre alt, lebt im hessischen Weiterstadt und macht eine Ausbildung zur Geomatikerin