Debatte Rechtspopulismus: Rassismus in Filzpantoffeln

Die Schweizer SVP schürt das populäre Ressentiment: Nach Minaretten geht es nun gegen deutsche "Ellbögler" und ihren "Filz".

Die Volksabstimmung über das Minarettverbot hat die rechte Schweizerische Volkspartei (SVP) in Schwung gebracht. In der Schweizer Ausgabe der Neuen Zürcher Zeitung legte sie am 15. Dezember nach und schaltete ein Inserat, indem sie zum Halali gegen Einwanderer blies - diesmal auch gegen deutsche.

Die Anzeige begann mit einer grobianischen Diffamierung: "Die Linken und die Grünen holen immer mehr gewaltbereite Ausländer in unser Land." Dann war die Rede von "Mord und Totschlag" sowie von "gefühllosen Schlägerkindern". Im Zentrum der Attacke standen jedoch "ausländische Ellbögler" an den Universitäten, die angeblich Schweizer verdrängten. An den Hochschulen, so das Inserat, mache sich "deutscher Filz" breit, "denn Deutsche stellen vor allem Deutsche ein - an der Uni und in den Spitälern".

Zum Hintergrund: An der Uni Zürich liegt der Anteil von Professoren deutscher Herkunft bei dreißig Prozent - und damit etwa zehn Prozent über dem Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung. Gegen dieses Inserat und seine "rassistische und fremdenfeindliche Rhetorik" wandten sich 207 von 850 Professorinnen und Professoren der Universität Zürich und der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in einem Appell: "Wir wehren uns gegen den Ausdruck deutscher Filz", hieß es da. Denn für einen "deutschen Filz" gibt es keinerlei Belege: Hochschulen gehören auch in der Schweiz zu jenen Bereichen, in denen Ausschreibungs- und Auswahlverfahren transparent sind.

ist Schweizer und lebt als Journalist in Frankfurt am Main. Er schreibt für deutsche und schweizerische Zeitungen. Zusammen mit Martin Halter und Werner Bartens verfasste er das "Letzte Lexikon" (Eichborn).

Die Attacke der SVP auf Deutsche steht im Zusammenhang mit anstehenden Stadt- und Gemeinderatswahlen, hat aber nur indirekt damit zu tun. So ging es bei der Kampagne gegen den Bau von Minaretten ja im Kern gegen arme muslimische Einwanderer. Die Attacke auf "die Deutschen" gilt nun einer Elite von gutverdienenden Hochschullehrern, Ärzten und anderem hochqualifiziertem Personal. Dabei werden wohlfeile nationale Ressentiments von bornierten Provinzlern gegenüber gebildeten, welt- und sprachgewandten Einwanderern mobilisiert, soweit hier nicht nur purer Neid im Spiel ist.

Ressentiments gegen Deutsche haben in der Schweiz ebenso Tradition wie die Anbiederung großer Teile der schweizerischen Elite aus Wirtschaft, Militär und Politik an die deutsche Rechte und den Nationalsozialismus. 1933 und verstärkt 1940, nach der Kapitulation Frankreichs, trommelten Organisationen der "Nationalen Front" für "die Sache Deutschlands" und "einen Kreuzzug wider den Bolschewismus". Nach 1945 ruderten die Schweizer Eliten zurück und feierten sich selbst als einzige Bewahrer der Freiheit angesichts der nationalsozialistischen Bedrohung. Während des Kalten Krieges verabreichte sich die Alpenrepublik dann eine dreifache Schutzimpfung - gegen Linke, Fremde und Andere. Von der Wiege bis zur Bahre und von der Grundschule bis zum Abitur wurde nun das Selbstbild vermittelt, Schweizer seien etwas Anderes und Besseres. Das ideologische Konstrukt des "Sonderfalles Schweiz" reichte von der militärischen und politischen Igelmentalität über die chauvinistische Selbstvernagelung bis zur arroganten Dummheit, mit der "frei geborene Schweizer Männer" bis 1971 die politische Gleichstellung von Frauen als "unschweizerisch" ablehnten.

Die Kehrseite der demonstrativ nach außen gewendeten Selbstgerechtigkeit und Selbstgenügsamkeit als urschweizerischen Tugenden ist seither eine innerlich erlittene Minderwertigkeit und Mittelmäßigkeit. Der Zürcher Germanist, Oberst und Berufsschweizer Karl Schmid (1907-1974) brachte die ambivalente Mentalität vieler Schweizerinnen und Schweizer 1963 in einem Buchtitel auf den Punkt: "Unbehagen im Kleinstaat". Schmid meinte, die "Schicksallosigkeit" der Nation wecke Sehnsucht nach Größerem. Er diagnostizierte zu Recht, "geistige Enge" führe leicht zu "Stagnation, pharisäischem Selbstgefallen, phantasielosem Behagen". 1974 antwortete Max Frisch auf Schmids Essay: Frisch hielt die Diagnose zwar für richtig, lehnte seine Therapievorschläge aber schroff ab: "Unbehagen" hätten nur "Psychopathen" und Träume vom Größerem seien "kein Beweis für gesellschaftliche Gesundheit".

Seit den 60er-Jahren schwankt die Mentalität vieler Schweizerinnen und Schweizer zwischen überheblicher Selbstgerechtigkeit und zermürbendem Unbehagen. Der Basler Verfassungsrechtler Max Imboden sprach im Blick auf eine fast aussichtslose Verfassungsreform 1964 von der "malaise helvétique" und meinte damit die politische Erstarrung und Reformfeindlichkeit.

Opportunistische Doppelmoral

Unklar ist, was sich daran in den letzten 45 Jahren geändert hat. Was sich dagegen an der Mentalität vieler Schweizerinnen und Schweizer in diesem Zeitraum verfestigt hat, ist erkennbar - nicht zuletzt an den Erfolgen der Kampagnen der SVP gegen Muslime und ihre Minarette sowie jetzt gegen Deutsche. Die biedere Selbstgerechtigkeit des gutbürgerlichen, Blocherschen Spießer- und Schweizertums hat sich zur Fremdenfeindlichkeit verdichtet und dem helvetischen Rassismus Salonfähigkeit verliehen - nachlesbar in der Weltwoche des ehemaligen Welt-Chefredakteurs Roger Köppel oder bei Thomas Hürlimann, dem Alpen-Poeten aus der Steueroase Zug. Wie "normal" der Rassismus in Filzpantoffeln daherkommt, kann man in vielen Leserbriefen an Schweizer Zeitungen und in Blog-Beiträgen im Internet lesen.

Eine trübe Figur macht auch die 230 Jahre alte Neue Zürcher Zeitung. Ihr Statut hätte es erlaubt, den Abdruck des deutschenfeindlichen Inserats der SVP wegen der rassistischen Untertöne abzulehnen. Die NZZ aber wählte den Mittelweg: Sie druckte das SVP-Inserat in ihrer nationalen Ausgabe ab - nicht aber in der internationalen Ausgabe, wohl, um Image-Schäden im Ausland zu vermeiden. Zu diesem Opportunismus passt, dass die NZZ nur wenige Tage später das Inserat eines Umwelt-Aktivisten gegen die "Zerstörung der Regenwälder" ablehnte - darin wurde auch die Beteiligung der Großbank Crédit Suisse an Rodungen im Regenwald erwähnt. Das ist die übliche Schweizer Doppelmoral.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.