Hängende Mundwinkel

SCHLAGLOCH VON HILAL SEZGIN Warum Angela Merkel es den Medien mal wieder nicht recht machen kann

■ lebt als freie Publizistin in der Lüneburger Heide. Gerade ist ihr zweiter Roman erschienen: „Mihriban pfeift auf Gott“ (DuMont Verlag).

Da ist sie wieder, die alte Merkel. Mit hängenden Mundwinkeln, gefalteten Händen und der rosafarbenen Jacke mit den drei Knöpfen blickt sie einem aus Zeitung und Fernsehen entgegen. Längst hat sich eine Angie-Ikonografie entwickelt, die bei Bedarf auf Knopfdruck negative Assoziationen in Gang setzt.

Seit dem Wulff-Spektakel in drei Wahlgängen hat die Anti-Merkel-Stimmung in den Medien wieder Konjunktur. Und egal, welche Zeitung man aufschlägt oder welchen Radiosender man einschaltet, unsere Kanzlerin wird dort verlacht, weil sie ihren Laden angeblich nicht im Griff habe.

Sonderbarerweise schimpfte man das letzte Mal, als ihre hängenden Mundwinkel überall abgebildet wurden, darüber, dass sie ihren Laden viel zu sehr im Griff habe. Ein Machtmensch sei sie, manipulativ, sie steuere alles und jeden aus dem Hintergrund! Das Mal davor hieß es, ihr Ausschnitt wäre zu tief: darf sich eine Kanzlerin so sexy zeigen? Und das Mal davor, da trug sie die Uniform in Apricot: dass sie unter den Achseln schwitze. Nicht sexy!

Das typische Doublebind

Dieses Doublebind ist typisch für die Rede über Frauen. Ich gebe zu, im Einzelfall ist es schwierig, es nachzuweisen. Trotzdem behaupte ich: Wenn Merkel ein Mann wäre, liefe das anders. Dem würde man entweder das eine oder das andere zum Vorwurf machen. Aber die Frau, die nach oben will, macht es immer falsch – egal, was und wie sie es anstellt. Der Grat, auf dem sie wandelt, ist so schmal, da kann sie auf beiden Seiten abrutschen, mit jedem minimal deplatzierten Schritt. Bei Müttern heißt es dann entweder, sie arbeiten zu viel (Rabenmutter, Karrieristin). Oder zu wenig (klammern sich an das Kind, Nur-Hausfrau). Und bei Hollywood-Schauspielerinnen: Entweder sie haben wieder mal zugenommen (Pfui, wie kann sie sich mit solchen Speckfalten im Bikini präsentieren?!). Oder sie sind ein Hungerhaken (da ist wohl die Ehe am Wanken).

Natürlich ist der Hang zur Häme generell weit verbreitet; alle möglichen Menschen zerreißen sich über alle möglichen anderen (auch über Männer) nur zu gern das Maul. Doch seitdem unsere Kultur die Dichotomie „Jungfrau oder Hure“ erfunden hat, sind Doublebinds das täglich Brot der Frau. Dabei mag das ursprüngliche Modell selbst, also „Jungfrau oder Hure“, bereits überholt sein. Gar nicht so lange ist’s her, da idealisierte man beides: das keusche Mädchen mit weißem Kleid und reinem Geist – und die aufregend schmutzige, animalische Schlampe. Noch in den Achtzigern spielte Madonna (der Popstar) mit diesen beiden Bildern.

Heute scheint die Jungfrau als role model zumindest in unseren Breiten ausgedient zu haben, und was früher Prostituierten vorbehalten war – die Strapse, die 1001 Stellungen, die Handschellen, das Fußkettchen –, gehört heute ins Nachtschränkchen jeder anständigen Ehefrau. Heute also heißt es eher: ein bisschen Kumpel, ein bisschen Hure. Ein bisschen Mama, ein bisschen Geschäftsfrau. Ein bisschen Mädchen, ein bisschen erfolgreich. Die Etiketten mögen sich wandeln, die Unerfüllbarkeit bleibt.

Nachts wach liegen, sich ärgern

Ich glaube, dass dies ein Grund ist, warum viele Frauen so viel Angst haben und so oft besorgt sind, etwas falsch zu machen. Erstens sind wir ohnehin viel zu sehr auf soziale Akzeptanz fixiert. Zweitens ist diese Akzeptanz doppelt schwer zu erreichen. Zwar liegen auch Männer manchmal nachts wach aus Angst, im Büro etwas Dummes gesagt zu haben. Aber nur Frauen liegen nachts wach und befürchten zugleich, sie hätten etwas Dummes oder etwas zu Kluges gesagt!

Die Messlatte zeigt Fehlerpotential in beide Richtungen – und frau kann nie wissen, wie herum sie gerade angelegt wird. Ich will die Schuld daran keineswegs „den“ Männern geben, das ist ein überindividuelles Phänomen. Manche Männer allerdings haben die Ausnutzung dieser Schwäche zur Waffe geschärft und den zweischneidigen Vorwurf geradezu kultiviert. Mit nichts kann man eine Kollegin oder Geliebte so leicht aus dem Takt bringen, wie wenn man ihr abwechselnd Gegensätzliches vorwirft? In solchen Fällen sollte sich eine Frau nicht aus der Ruhe bringen lassen und nur leichthin erwidern: „Ganz wie du meinst.“ Dann allerdings nachts wieder ausgiebig das innere Video zurückspulen: Hat sie zu tough („Haare auf den Zähnen“) oder zu weinerlich („immer so empfindlich!“) gewirkt?

Doch kommen wir zurück zu Merkel. Auf dem Umweg über Schröder. Über ihn hat man sich lustig gemacht, weil er teure Anzüge trug und vermutlich sein Haar färbte. Auch das war nicht nett. Aber Schröder wurde von unten gegens Bein gepinkelt: Rangniedere versuchten, dem Alphatier eins auszuwischen. Auf Merkel hingegen schauen selbst die unbedeutendsten Neider wie von oben herab. Wenn es um Merkel geht, steht hinter jeder Kritik ein „Ätsch!“: Seht ihr, sie packt es halt doch nicht. Haben wir nicht gleich gefragt: „Kann die das?“ Dass sie es kann, kann sie nie endgültig beweisen. Egal, wie lange sie’s schafft – es ist immer nur vorläufig. Bei jedem kleinen Fehltritt auf ihrem besonders dünnen Grat steht der Chor bereit, ihr das endgültige Untergangslied zu singen.

Egal, welche Zeitung man aufschlägt oder welchen Radiosender man hört: Die Ohnmacht der Kanzlerin wird dort verlacht

Merkel geht damit großartig um.

Ein Vorbild für andere Frauen

Ich weiß nicht, ob sie nachts wach liegt und grübelt. Falls ja, schafft sie es offenbar trotzdem, tagsüber bei Kräften zu sein. Nein, ich glaube nicht, dass sie nachts wach liegt. Diese Frau verschwendet keine Zeit mit solchem Frauen-Pipikram. Sie steuert das Schiff, und die kleinen Wellen hier und da stören sie gar nicht. Vorbildlich!

Einmal nahm ich an einer öffentlichen Diskussion teil, bei der es hoch her ging, ich wurde attackiert und keilte nach Kräften zurück. Das war natürlich nicht ladylike, und nachher kamen zwei mittelalte Damen mit Perlenkettchen auf mich zu und sagten zu mir: „Sie sind ja genauso schlimm wie die Merkel!“ Es war offenbar der übelste Vergleich, der ihnen einfiel. Aber er ist falsch. Merkel muss nicht einmal beißen oder keifen. Wäre auch Kraftverschwendung. Nicht grübeln – weitermachen! So gesehen, taugt sie direkt als role model. Und die Schmähung „wie Merkel“ ist ein Kompliment.